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Die Juedin von Toledo

Die Juedin von Toledo

Titel: Die Juedin von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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seltener, und bei seinen seltenen Besuchen saß er einsilbig und bedrückt herum.
    Der erste Sabbat nach Raquels Fortgang kam heran.
    Der Sabbat war von jeher, schon in Sevilla, ein großer Tag für Jehuda gewesen. Diesen siebenten, den Ruhe-Tag, hatte Gott seinem Volke geschenkt, auf daß sich Israel an ihm auch in Zeiten der Bedrängnis frei und erhaben über die Völker fühle. Den Sabbat pflegte der tätige Jehuda in Wahrheit zu feiern, er schloß die Welt der Geschäfte aus und freute sich der Auserwähltheit seines Volkes und seiner eigenen.
    Gegen alle Vernunft hatte er gehofft, Raquel werde schon am ersten Sabbat kommen. Als sie nicht kam, siegte seine Vernunft über seine Enttäuschung. Am zweiten Sabbat konnten keine Vernunft und kein angestrengter Wille mehr seinem fressenden Kummer Einhalt tun. Er suchte sich die hundert Gründe zusammen, die Raquel verhindert haben mochten; aber das fruchtlose Grübeln: Was ist es mit meinem Kind? Warum verläßt mich mein Kind? bohrte weiter.
    Dann kam Alfonso nach Toledo. Es lockte Jehuda, ihn aufzusuchen, er hatte den guten Vorwand dringlicher Geschäfte. Aber ihm bangte vor sich selber und vor seinem Herzen, er ging nicht zu Alfonso. Er wartete darauf, daß Alfonso ihn rufe, er wartete den ersten Tag und den zweiten und den dritten und war froh, daß der König ihn nicht rief, und raste, als der König Toledo verließ und hatte ihn nicht gerufen.
    Und es kam der dritte Sabbat ohne Raquel. Sie hatten sich vereinigt, der Christ, der Soldat, der Mann ohne Geist und Gewissen, und seine ehemals so liebenswerte, so liebevolle Tochter, sie hatten sich zusammengetan, ihn durch Schweigenzu peinigen, ihm das Herz aus der Brust zu reißen. Er hatte Raquel verloren.
    Aber dann kam ihre Botschaft. Und dann, vor dem Sabbateingang, kam sie.
    Jehuda hatte Scheu vor leiblicher Berührung, aber er faßte Raquel beinahe gewalttätig, umarmte sie, beugte ihren Kopf zurück, saugte ihren Anblick ein. Sie ruhte aus in seiner Umarmung, sie hatte die Augen geschlossen, er konnte nicht erkennen, was sie erlebt hatte. Soviel war gewiß: verstört war sie nicht, sie war seine Raquel, und sie war noch schöner geworden.
    Er bat sie, die Lichter anzuzünden, wie es nach altem Brauch das Vorrecht der Frauen war, sie leuchteten hinein in die sich senkende Sabbatnacht, es war ein guter Abend. Er sang das Sabbatlied des Jehuda Halevi: »Komm, Geliebter, komm, Sabbat, entgegen der Braut«, und er sprach, seinen Jubel mitjubelnd, den Psalm Davids: »Freuet euch, ihr Himmel! Frohlocke, Erde! Rausche auf, Meer! Bäume und Wälder, jauchzet dem Herrn!«
    Sie setzten sich zum Mahle, mit ihnen Musa. Raquel schien in sich gekehrt, doch fröhlich. Musa, gegen seine Gewohnheit, streichelte ihre Hand, und er sagte: »Wie schön du bist, meine Tochter.« Man sprach während des Mahles von mancherlei, aber nicht von dem, woran alle dachten.
    Raquel schlief gut und tief in dieser Nacht. Jehuda war noch voll von Zweifeln, und vielleicht auch war er eifersüchtig, doch die Qual war fort, die er alle die Zeit her gespürt hatte.
    Am andern Tage dann, als Raquel allein mit dem Vater im Patio an der großen Fontäne saß, sahen sie einander lächelnd an, mit halben Blicken, mit ganzen Blicken, und schließlich beantwortete Raquel die ungefragte Frage. »Es ist alles gut, mein Vater«, sagte sie. »Ich bin nicht unglücklich.« Und: »Ich bin glücklich«, gestand sie, und aufrichtig: »Ich bin sehr glücklich.« Jehuda, sonst um Worte nicht verlegen, wußte nichts zu sagen. Eine große Last war von ihm abgefallen, das war gewiß, aber ob er sich freute, wußte er nicht.
    In der Galiana war Raquel mehr und mehr ins Moslemische zurückgeglitten. Jetzt erinnerte sie sich ihres Judentums. An den Türen des Castillo Ibn Esra waren wie an jedem jüdischen Haus Bekenntniszeichen angebracht, kleine Röhren, welche Pergamentrollen einschlossen mit dem Bekenntnis zu dem Ein und Einzigen Gotte Israels und mit dem Gelöbnis unbegrenzter Hingabe. Raquel beschloß, eine solche Mesusa auch in der Galiana anzubringen.
    Die Nacht kam und mit ihr die Hawdala, die Scheidung, die holde und bittere Zeremonie, die den Sabbat von den Tagen der Woche schied, das Heilige vom Gemeinen. Die brennende Kerze war da, der gefüllte Becher Weines, das Gewürz, verwahrt in kostbarer Büchse, und Jehuda segnete den Wein und trank von ihm, segnete das Gewürz und atmete ein letztes Mal seinen sabbatlichen Duft, segnete das Licht und löschte die Kerze

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