Die Juedin von Toledo
im Wein.
Sie sagten einander gute Nacht, geteilten Gefühles, da nun eine ganze Woche vergehen sollte, ehe sie sich wiedersahen. Aber noch war Raquel nicht eingeschlafen, als nichts mehr in ihr war außer der Erwartung des Morgens, da sie in die Galiana zurückkehren wird.
Der Domherr Don Rodrigue hatte ein menschenfreundliches Herz, der Domherr Don Rodrigue bestrebte sich, die christliche Pflicht des Gehorsams zu üben, und manches Mal geriet seine Menschenfreundlichkeit in Zwiespalt mit dem Gebot des Gehorsams. Der Heilige Vater hatte den Kreuzzug verkündet, und es war Pflicht Hispaniens, daran teilzunehmen; aber wenn der Domherr daran dachte, daß nun wieder ein großer Krieg in der Welt war und die Menschen einander quälten und zerfleischten, dann freute er sich, daß bis jetzt wenigstens seine Halbinsel verschont war. Das war indes eine sündige Freude, und des Nachts, wenn er daran dachte, daß, während so viele gute Christen um des Heiligen Landes willen tausend Strapazen und Tode duldeten, er und seine Spanier in Wohlbehagen lebten, dann überfiel ihn zuweilen soheiße Scham, daß er sein Bett verließ und auf der nackten Erde schlief.
Seine Trübsal um das allgemeine Unglück wurde vermehrt durch den Kummer um Don Alfonso, sein Beichtkind. Der Domherr liebte Alfonso wie einen jüngeren Bruder. Der strahlende Ritter und König hatte es ihm angetan. Seitdem Rodrigue seine Chronik begonnen hatte, freute er sich darauf, sie zu beschließen mit der Darstellung der Regierung dieses seines lieben Schülers und Beichtkindes; ja, er hatte bereits die Worte gefunden, das Wesen des Achten Alfonso zu kennzeichnen: vultu vivax, memoria tenax, intellectu capax – lebhaft von Angesicht, zäh von Gedächtnis, stark von Verstand. Und nun hatte dieser sein Alfonso sich ungeheuer und gefährlich verloren, er hatte sich in schwerste Sünde verstrickt, in eine Wurzel-und Hauptsünde, in die dritte der Todsünden!
Ihm, Rodrigue, oblag es, Alfonso zu tätiger Reue zu bewegen, die allein ihn vor dem geistigen Tode retten konnte. Doch Rodrigue war ein guter Menschenkenner, er sah, der Sünder war betäubt vom wilden Geruch seiner Sünde, jede Mahnung wäre eitel gewesen. Rodrigue mußte sich darauf beschränken, für Alfonso zu beten. Manchmal auch, wenn er sich kasteite, war ihm, als büße er einen Teil der Schuld Alfonsos ab. Freilich durfte der Mensch sich nicht anmaßen, dem Heiland gleich die Sünden anderer auf sich zu nehmen, des war sich der Domherr bewußt; trotzdem schlich sich ein wenig solcher Ketzerei wohltuend in seine Kasteiungen ein.
Vermochten Don Rodrigues Pönitenzen ihm gemeinhin nichts weiter zu verschaffen als das Gefühl erfüllter Pflicht, so verhalfen sie ihm in Stunden der Gnade zu einer süßen, heiligen Leichtigkeit. Es versank dann sein Leib, das Irdische zerlöste sich, und er ging ein in eine strenge Seligkeit, in welcher nichts war als Geist und Gott.
Er hatte schon die Hoffnung aufgegeben, dem König aus seiner innern Not helfen zu können, als in einer solchen Stunde der Verzückung alle seine Zweifel sich zerstreuten. Er fühlte es, er war erhört. Aus den Urgründen seines Wesenswuchs ihm die Gewißheit, Gott werde ihm zur rechten Zeit die rechten Worte auf die Zunge legen.
Es focht ihn nicht an, als in diesen Tagen seiner Zuversicht der Erzbischof ihn zur Rede stellte. »Wie lange willst du noch untätig zuschauen«, herrschte Don Martín ihn an, »wie dein Beichtkind Alfonso im Schlamme versinkt?« Und noch bevor der andere erwidern konnte, fuhr er fort: »Denke an Pinehas, den Sohnessohn des Aaron, wie er eiferte gegen den Mann, der mit der Midianitin hurte.« Der Domherr richtete nachdenkliche Augen auf ihn und antwortete still, fast lächelnd: »Ich kann mir nicht vorstellen, daß es Gott wohlgefällig sein sollte, wenn ich dem König Unserm Herrn und Doña Raquel den Spieß in den Leib rennte.« – »Du weißt, daß ich nur bildlich gesprochen habe«, grollte der Erzbischof. »Aber soviel muß ich dir sagen: mehr Eifer wäre wohlgetan.« – »Ich traue auf Gott«, sagte Don Rodrigue. »Er wird mich zur rechten Zeit die rechten Worte finden lassen.«
Der Erzbischof erkannte, daß es sinnlos gewesen wäre, länger in Rodrigue zu dringen. Allein er hatte seit Wochen erwogen, ob er nicht selber die Pflicht habe, dem König sein ungeheuerliches Verbrechen vorzuhalten. Er hatte sich nur mit Überwindung entschlossen, dem frommen, milden, fast heiligen Rodrigue die Aufgabe zu
Weitere Kostenlose Bücher