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Die Juedin von Toledo

Die Juedin von Toledo

Titel: Die Juedin von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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überlassen, und daß er jetzt auf seine sanfte Mahnung nichts zu hören bekam als fromm unverbindliches Gerede, verdroß ihn. Er suchte nach einem Vorwand, seinem Sekretär sein Mißvergnügen zu zeigen.
    Nun gab es da eine alte Streitfrage zwischen ihnen. Während das ganze christliche Abendland nach dem Vorbild des römischen Abtes Dionysius Exiguus seine Ära vom Jahre der Geburt Christi an zählte, begannen die hispanischen Fürsten die ihre achtunddreißig Jahre früher, mit dem Jahr, in welchem der Kaiser Augustus die Halbinsel zu einem einheitlichen Staatsgebilde gemacht hat. Da diese Verschiedenheit der Datierung zu Mißhelligkeiten in der Korrespondenz mit dem Ausland führte, versuchte Don Rodrigue die Briefausfertigung der erzbischöflichen Kanzlei der des Auslands anzupassen. Inguten Stunden ließ sich der Erzbischof diese Verirrung seines neuerungssüchtigen Sekretärs gefallen. War er aber übler Laune, dann griff er ein. Heute also, unvermittelt, sagte er streng: »Ich sehe mit Bedauern, mein lieber Herr und Bruder, daß du wieder anfängst, unsere Briefe mit der Jahreszahl der päpstlichen Kanzlei zu datieren. Ich habe dir des öftern meinen Willen kundgetan, der hispanischen Kirche ihre Eigenart zu wahren. Ich lehne es ab, Rechte aufzugeben, die älter sind als die Rechte des Papstes. Schließlich ist auch mein Vorgänger hier in Toledo von dem Apostel Petrus eingesetzt worden.«
    Don Rodrigue wußte, warum sein Vorgesetzter den alten Streit über die Zeitrechnung so gewalttätig erneuerte. Er ließ sich auf keine Debatte ein, sondern sagte versöhnlich: »Habe Vertrauen, mein hochwürdiger Vater. Gottes Gnade wird es mir vergönnen, die Seele des Königs Unseres Herrn zu retten.«
    Alfonso stand vor der Mesusa, der Bekenntnisrolle, welche Raquel an dem Türpfosten ihres Wohnraums in der Galiana angebracht hatte. »Wie ist das«, fragte er mit dünnem, nicht unfreundlichem Spott, »wirst du hier im Hause noch viele Änderungen vornehmen?« – »Aber gewiß«, antwortete sie fröhlich. »Wenn das Haus fertig ist, kommt der Tod«, zitierte sie den arabischen Spruch. »Nun ja«, meinte Alfonso, »ein Amulett kann nie schaden.«
    Raquel antwortete nicht. Sie verzieh es ihm, daß er in dem Zeichen ihres Bekenntnisses nichts weiter sah als ein Amulett. Was verstand er, der vor den Bildnissen dreier Götter kniete, von dem ein und unteilbaren, unsichtbaren Gotte Israels? Er war nichts als Ritter und Soldat, keine Ehrfurcht vor dem Höchsten schauerte ihn an, sie wußte es längst. Aber seltsamerweise wurde er ihr dadurch nicht kleiner. Sein Heldentum, so gottlos und verderblich es war, wärmte ihr das Herz.
    Alfonso seinesteils legte sich jetzt Rechenschaft ab über Dinge, die er bisher nur dunkel geahnt hatte. Vielleicht war sein Leben hier in der Galiana unritterlich, vielleicht verrieter seine Königspflicht: er war bereit, sein Glück mit solchem Verrat zu bezahlen. Mit Raquel zu leben, war der Sinn seines Daseins. Er litt, wenn er sie auch nur auf Minuten entbehren mußte. Er wird sie niemals entbehren können, er spürte es, er wußte es, und das war furchtbar, und das war Seligkeit.
    Und so wie er war Raquel ausgefüllt von ihrem Glück. Sie lebte hier nicht um einer »Sendung« willen. Sie lebte hier, weil sie es so wollte, weil es sie glücklich machte. Und Alfonso, der Christ, der Ritter, der Barbar, war ihr recht, genau wie er war. Er war König, er unterstand einem einzigen Gesetz, seiner innern, königlichen Stimme, und diese Stimme hatte recht, auch wenn sie ihn hieß den Mann blenden, der auf der Wache geschlafen hatte, oder die feindliche Stadt dem Erdboden gleichmachen und Salz auf sie streuen.
    Mit ihm, für ihn war sie stolz auf Dinge, die sie früher belächelt hätte. Er erzählte ihr von den wilden gotischen und normannischen Königen, die seine Väter waren, und sie bewunderte sie mit ihm. Er rühmte die derbe Kraft seines niedrigen Lateins, seines Kastilisch, und sie mühte sich eifrig, es zu lernen.
    Er freute sich knabenhaft, wenn sie Worte und Wendungen seiner kastilischen Soldatensprache gebrauchte. Zum Dank warf er dann wohl den arabischen Mantel über, wenn sie ihm am Brunnen ihre Märchen erzählte. Als sie ihn freilich bat, sich den Bart abnehmen zu lassen, da sie sein Gesicht nackt sehen wolle, lehnte er’s barsch ab. »Das tun nur Joglares, Gaukler«, empörte er sich. Sie nahm es ihm nicht übel, sie lachte. Es war keine Fremdheit zwischen ihnen, sie waren eins wie in

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