Die Juliette Society: Roman (German Edition)
Medikamenten, und auch ihre Mundwinkel sind verzogen, so wie sich ein Nagel beim Einschlagen in die Wand verbiegt, wenn man ihn mit dem Hammer nicht richtig auf den Kopf trifft.
Ich frage mich, was Gena derart getroffen hat, dass sie so mitgenommen wirkt. Wenn ich sie mir heute anschaue, sieht sie überspannt und irgendwie verloren aus. Aber ich muss zugeben, dass sie die Fassade tapfer aufrechterhält.
Jack bekommt nichts davon mit. Er sieht die kleinen Risse nicht. Er ist noch nicht soweit, hinter die Fassade zu blicken, die Bob und Gena nach außen hin präsentieren. Er ist zu fasziniert von der ganzen Bob-Sache.
Jack ist ein kluger Typ, einfühlsam. Aber manchmal ist es zum Verzweifeln. Es ist ja nicht so, als könne er die Menschen nicht durchschauen. Er will bloß nicht. Er braucht das Gefühl, an sie glauben zu können, damit er seine Vorstellung von dem, was er ist und was sein Platz in der Welt ist, bestärkt sieht. In Jacks Augen kann Bob kein Wässerchen trüben.
Jetzt, wo ich sie zusammen sehe, beschleicht mich das Gefühl, dass Bob Jack auf ähnlich verklärte Weise sieht, als den jungen Mann, dem eine großartige Zukunft bevorsteht. Ich tue so, als würde ich ihr Gespräch nicht verfolgen, aber ich bekomme mit, wie Bob zu Jack sagt: »Aus dir wird noch mal was. Wenn wir das richtig durchziehen, kann ich dich sicher irgendwo unterbringen.«
Er legt väterlich die Hand auf Jacks Schulter. Das ist noch so eine Sache, die mir klar wird, jetzt, wo ich sie zusammen sehe: Bob sieht in Jack den Sohn, den er nie hatte.
Bob und Gena haben keine eigenen Kinder, was ziemlich seltsam ist, wenn ich darüber nachdenke, denn mir fällt sonst kein kinderloser Politiker ein. Sogar diejenigen, die sich nur noch nicht geoutet haben und die am Ende mit der Hose um die Knöchel dabei erwischt werden, wie sie sich in ihrem Büro im Regierungsviertel von irgendeinem Gespielen, den sie in einer Schwulenbar aufgegabelt und dann als Privatsekretär eingestellt haben, in den Arsch poppen lassen, sogar diese Typen haben Frau und Kinder zu Hause.
Bob und Gena haben keine Kinder, stattdessen haben sie einen Hund. Eine Art Terrier. Und sie haben ihm den Namen des Kindes gegeben, das sie nie bekommen haben: Sebastian. Sie behandeln ihn auch wie ein Kind, und weil dies ein besonderer Anlass ist, hat Gena ihn in einen Hundesmoking mit Fliege gesteckt.
Manche Menschen sind Katzenfreunde, andere Hundefreunde. Ich bin beides. Ich liebe Hunde. Aber keine kleinen Hunde. Und definitiv nicht diesen kleinen Hund.
Denn dieser Hund denkt, er sei niedlich. Aber das ist er nicht. Er ist bloß zwanghaft aufmerksamkeitssüchtig. Sein Lieblingsspielzeug ist ein quietschender Plastikhund. Dieselbe Rasse, dieselbe Farbe wie er selbst, bloß kleiner. Wie eine Comicversion seiner selbst. Sebastians Lieblingsbeschäftigung besteht darin, durch das Haus zu stolzieren, als gehöre es ihm, den Plastikhund im Maul herumzutragen und alle paar Sekunden draufzubeißen, damit er quietscht. Er lässt seine vollgesabberte Plastikkopie vor meine Füßen fallen und wartet begierig darauf, dass ich ihn aufhebe und für ihn werfe. Also werfe ich ihn, aber zehn Sekunden später ist er schon wieder da und das Plastikspielzeug liegt noch etwas vollgesabberter vor meinen Füßen.
Bob und Jack sind noch immer ins Gespräch vertieft, Gena ist in der Küche, und mir bleibt nichts zu tun, als mit diesem bescheuerten Hund und seinem Plastikdoppelgänger apportieren zu spielen. Nach drei-, viermal habe ich’s schon satt. Das Spielzeug ist inzwischen ein Sabberklumpen mit Plastikkern, und ich fasse es nur äußerst ungern an, weil ich nicht weiß, wo dieser Hund überall war. Glücklicherweise ruft uns Gena dann zum Essen.
Wir nehmen an einem schönen, antiken Jahrhundertwende-Esstisch mit Löwentatzen-Beinen Platz. Er ist viel zu groß für vier Leute. Bob sitzt an einem Kopfende, Gena am anderen, Jack und ich uns gegenüber an je einer langen Seite, und es fühlt sich so an, als lägen Welten zwischen uns.
Der Tisch ist mit Porzellantellern und Silberbesteck gedeckt und beladen mit Servierplatten aus Zinn, die sich schon seit Generationen in Bobs Familienbesitz befinden. Wir lassen uns ein typisches Columbus-Day-Festessen schmecken, das Gena für uns zubereitet hat. Stockfisch, Sardinen, Anchovis, Reis und Bohnen. Ich wusste nicht einmal, dass es abgesehen von Spaghetti mit Fleischbällchen am Columbus Day ein traditionelles Essen gibt, aber anscheinend doch – ein
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