Die Jungfernbraut
überlegen, fügte sie hinzu: »Es war einfach schrecklich.«
»Was meinst du damit?« Sophie leckte sich etwas Himbeermarmelade vom Finger.
Mit einem beredten Seitenblick auf ihren Mann sagte Sinjun: »Später, Sophie.«
Colins Stirn war jetzt in tiefe Falten gelegt. »Du gehst jetzt wieder zu Bett, Joan. Dein Gesicht ist so weiß wie mein Hemd, und du schwitzt stark. Das gefällt mir gar nicht. Komm, ich trage dich hinauf, und diesmal wirst du im Bett bleiben, bis ich dir erlaube aufzustehen.« Ohne ihre Antwort abzuwarten, hob er sie hoch und trug sie durchs Zimmer, rief aber immerhin über die Schulter hinweg: »Wenn ihr wollt, könnt ihr gern mitkommen, meine Damen. Dann seht ihr auch gleich einen Teil des Hauses.«
Und so folgten Alex und Sophie ihrem Schwager die unglaublich breite Treppe hinauf, sehr erleichtert, daß Sinjun nicht schwer krank war, aber zugleich ziemlich beruhigt, nicht nur wegen der Kinder, von deren Existenz sie nichts geahnt hatten, sondern noch mehr, weil Sinjun von schrecklichen Ereignissen gesprochen hatte.
»Du mußt das alles einfach als Abenteuer ansehen«, flüsterte Alex Sophie hinter vorgehaltener Hand zu und fuhr sodann lauter fort: »Herrje, schau dir nur den Herrn auf dem Gemälde dort an! Er ist nackt!«
Colin erklärte lächelnd, ohne sich umzudrehen: »Das ist mein Ururgroßvater, Grantham Kinross. Angeblich hat er eine Wette mit einem Nachbarn verloren und mußte sich deshalb ohne sein Plaid malen lassen. Aber immerhin wird seine Blöße durch diesen günstig plazierten Busch verhüllt.«
»Was war das denn für eine Wette?« wollte Alex wissen.
»Der Überlieferung zufolge war Grantham ein wilder junger Mann, der alle Damen in weitem Umkreis mit seinen Aufmerksamkeiten beglückte. Ein Nachbar sagte, daß es Grantham nie gelingen werde, seine tugendhafte Frau zu umgarnen, und so schlossen sie eine Wette ab. Die Frau war aber in Wirklichkeit ein verkleideter junger Mann, und deshalb verlor Grantham die Wette und mußte sich unbekleidet malen lassen.«
Sophie lachte. »Du hast recht, Alex — das ist ein herrliches Abenteuer.«
Nach dem Abendessen begaben sich Sophie und Alex in Sinjuns Schlafzimmer, um ihr Gesellschaft zu leisten. Colin wollte das Damenkränzchen nicht stören und beschloß deshalb, sich eine Weile seinen Kindern zu widmen.
»Nein, fragt mich nicht wieder, wie es um meine Gesundheit bestellt ist!« rief Sinjun. »Mir geht es ausgezeichnet, nur bin ich noch sehr schwach. Ich habe mich stark erkältet, weil ich bei einem Wolkenbruch pudelnaß geworden bin, aber richtig schlimm wurde es, weil Tante Arleth mich töten wollte.«
Sophie und Alex starrten sie ungläubig an.
»Ist das dein Ernst?« fragte Alex.
»Sie ist eine sauertöpfische Person«, meinte Sophie, »und alles andere als froh, daß wir hier sind — aber warum sollte sie dich töten wollen?«
»Sie will mich nicht hier haben, nur mein Geld, und vielleicht nicht einmal das. Als ich erkrankte, war Colin in Edinburgh, und sie hat die Fenster geöffnet und mir jede Pflege verweigert, mir nicht einmal Wasser zu trinken gegeben. Kurz gesagt, sie hat mich an den Rand des Todes gebracht, und Philip ist nachts ganz allein nach Edinburgh geritten, um seinen Vater zu holen. Er ist ein wunderbarer kleiner Junge. Später hat sie es dann noch einmal versucht. Ich weiß nicht, ob sie es wirklich ganz ernst meinte oder nur völlig wirr im Kopf ist. Sie redet sehr viel, aber das meiste ergibt keinen Sinn. Wie findet ihr meine Kinder?«
»Sie durften nur für einige Minuten in den Salon kommen. Beide sehen ihrem Vater ähnlich, und das heißt, daß sie sehr hübsch sind. Dahling versteckte sich daumenlutschend hinter dem Bein ihres Vaters, aber Philip kam auf uns zu und sagte, er freue sich, daß wir hier seien. Mit gesenkter Stimme fügte er dann hinzu, wir sollten gut auf dich aufpassen, damit dir nur ja nichts passiert. Du hast in ihm einen großen Verehrer, Sinjun, und ich glaube, später wird er viele Frauenherzen brechen.«
»Sein Vater wird mir hoffentlich nicht das Herz brechen.«
»Warum sollte er?« fragte Alex. »Du bist doch wirklich alles, was ein Ehemann sich wünschen kann.«
»Danke.« Sinjun tätschelte ihrer Schwägerin liebevoll die Hand.
»Es gibt hier irgendwelche Probleme«, sagte Alex, »und du solltest uns alles erzählen, Sinjun, denn ich habe die schreckliche Vorahnung, daß morgen in aller Herrgottsfrühe unsere lieben Männer hier auftauchen und uns die Köpfe
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