Die Jungfernbraut
an alles gedacht bzw. nicht alles geschrieben haben. Und wo ist deine Pistole, Sinjun?«
Sie zog die kleine Waffe unter dem Kopfkissen hervor. »Ich fühle mich heute morgen kräftig genug für unser Vorhaben. Jetzt muß ich nur noch dafür sorgen, daß Colin mit anderen Dingen so beschäftigt ist, daß er weder euch noch mich im Auge behalten kann.«
Doch Colin loszuwerden erwies sich als schwierige Aufgabe. Schließlich war Sinjun mit ihrem Latein völlig am Ende und sah nur noch einen einzigen Ausweg: sie begann jämmerlich zu husten, wobei sie sich vor Schmerzen krümmte, und klagte über schreckliche Kopfschmerzen, speziell über dem linken Auge. Sie brachte sogar einige sehr überzeugende Schauder zustande, und ihre Augen tränten, während sie keuchend nach Luft schnappte.
»Ich dachte, es würde dir viel besser gehen!« sagte Colin, während er ihr den Rücken massierte. Er nahm Alex und Sophie das Versprechen ab, bei Sinjun zu bleiben, während er selbst den Arzt holen würde. Sie gaben es ihm um so bereitwilliger, als sie ja tatsächlich nicht die Absicht hatten, Sinjun allein zu lassen, die allerdings heftige Gewissensbisse verspürte, weil sie Colins Fürsorge mißbrauchte, aber zugleich wußte, daß sie um jeden Preis hart bleiben mußte.
»Wenn Männer nur nicht so halsstarrig wären, dachte sie, war sich aber darüber im klaren, daß dieser Wunsch unerfüllbar war.
»Ich fühle mich großartig«, beantwortete sie Alex' Frage, während sie rasch in ein altes blaues Reitkostüm schlüpfte. »Später werde ich wahrscheinlich schwach wie ein neugeborenes Kätzchen sein, aber im Augenblick fühle ich mich stark. Macht euch keine Sorgen, ihr zwei. Wir müssen das erledigen, bevor eure Männer hier auftauchen, und das wird entgegen euren Prognosen sehr bald der Fall sein.«
»Wo willst du hin?«
Es war Philip. Ohne Alex und Sophie zu beachten, ging er schnurstracks auf Sinjun zu und stellte sich vor sie hin, die Hände in die Hüften gestemmt. »Wo willst du hin?« fragte er wieder. »Du hast ein Reitkostüm an, kein Nachthemd. Papa wird sehr unzufrieden sein, Sinjun. Und mir gefällt das auch nicht.«
Sinjun hätte ihm gern zärtlich die Haare zerzaust, begnügte sich aber mit einem Lächeln. »Ich zeige deinen beiden neuen Tanten nur ein bißchen die Gegend. Mir geht es ganz gut, und ich werde vorsichtig sein und sofort umkehren, sobald ich müde werde.«
»Wo ist Vater?«
»Wahrscheinlich prüft er mit Mr. Seton Rechnungen, öder aber er besucht unsere Pächter. Er war drei Wochen fort, und jetzt muß er sich um vieles kümmern. Hast du ihn nicht gefragt?«
»Ich war nicht unten, als er weggegangen ist. Dahling hatte einen Wutanfall und versuchte Dulcie ins Bein zu beißen. Ich mußte Dulcie beschützen.«
»Vielleicht könntest du Tante Arleth ein bißchen im Auge behalten, solange ich die Gastgeberin spiele?«
Seine Miene hellte sich auf. »Ja, das tu ich gern, aber bitte übernimm dich nicht, Sinjun.«
»Ich versprech's dir.« Sie blickte ihm nach, und ihre Gewissensbisse wurden immer unerträglicher. »Das war wirklich nicht schön von mir, aber er will mich genauso in Watte packen wie sein Vater.«
»Du bist eine großartige Schauspielerin«, kommentierte Alex, während sie die Hintertreppe hinabschlichen. »So gut bin ich leider nicht.«
»Ich tu's nicht gern, aber es mußte ja sein«, seufzte Sinjun. »Ich muß dafür sorgen, daß Colin in Sicherheit ist. Falls er jemals herausfindet, was wir getan haben, wird er mich bestimmt verstehen.«
»Dein Optimismus ist auf Sand gebaut«, sagte Sophie. »Er ist ein Mann, und ich möchte nicht in deiner Haut stecken, wenn er dahinterkommt. Verständnis ist bei Männern keine weit verbreitete Tugend, am allerwenigsten, wenn es um die eigene Ehefrau geht.«
»Sophie hat recht«, meinte Alex. »Wenn Colin dahinterkommt — und meiner persönlichen Erfahrung nach kommen Ehemänner hinter alles, wovon sie nichts wissen sollen —, wird er vor Wut kochen, weil du dich in Gefahr begeben hast, und als Mann wird er dir die Schuld dafür geben, daß er sich Sorgen machen mußte. Männer haben nun einmal ihre eigene Logik, die wir Frauen nie begreifen werden.«
»Ein Mann kann sich niemals damit abfinden, daß es Dinge gibt, mit denen er nicht zurechtkommt«, fuhr Sophie fort, »und wenn seiner Frau etwas gelingt, was er selbst nicht geschafft hat, spuckt er Gift und Galle und ärgert sich über ihren Erfolg.«
»Ich weiß«, sagte Sinjun.
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