Die Jungfernbraut
tatsächlich zur See fahren wollen oder nicht. Verstehst du?«
»O ja, ich verstehe.« Er wandte seinen Blick von ihr ab. »Kein schlechter Plan. An welches Schiff der Royal Navy hattest du denn gedacht?«
»Ich habe Ostle nach Leith geschickt, damit er auskundschaftet, welche Schiffe zur Zeit im Hafen liegen. Zumindest eines wird doch bestimmt dort sein, glaubst du nicht auch?«
»Ja, und wenn nicht, so läuft mit Sicherheit bald eines ein. Trotzdem ist dein Plan unausführbar, aus einem ganz bestimmten Grund, von dem du nichts wissen konntest.«
»Kannst du mir auch verraten, warum?«
Er grinste über den Groll in ihrer Stimme. »Das Wort Clan leitet sich vom gälischen clann ab und bedeutet nichts anderes als >Kinder<. Der MacPherson-Clan — das sind die Kinder von MacPherson, und wenn du eines von ihnen irgendwie beseitigst, sind die anderen verpflichtet, Rache und Vergeltung zu üben. Wenn der Sohn des Familienoberhaupts plötzlich verschwindet, wird man sofort vermuten, daß der Kinross-Clan dahintersteckt, und die Gewalt wird in ungeahntem Ausmaß eskalieren. Verstehst du?«
Sinjun nickte langsam. »Daran habe ich nicht gedacht. O Gott, was soll ich jetzt nur machen, Colin?«
»Als erstes wirst du mir versprechen, daß du nie wieder irgendwelche Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen und nie wieder Geheimnisse vor mir haben und nie wieder versuchen wirst, mich vor Feinden zu beschützen.«
»Das sind sehr viele Versprechen, Colin.«
»Bisher hast du deine Versprechen stets gebrochen, Joan, aber ich gebe dir noch eine Chance, hauptsächlich, weil du viel zu schwach bist, als daß ich dir eine ordentliche Tracht Prügel verabreichen könnte.«
»Ich verspreche es dir, wenn du mir das gleiche versprichst.«
»Ich werde dich trotz deiner Schwäche totprügeln.«
»Möchtest du das wirklich?«
»Eigentlich nicht. Vor einer Viertelstunde hätte ich es liebend gern getan, und noch viel lieber hätte ich dich erwürgt, aber jetzt nicht mehr. Jetzt würde ich dir am liebsten das Nachthemd ausziehen und deinen Körper mit Küssen übersäen.«
»Oh . . .«
»Oh«, imitierte er sie grinsend.
»Ich glaube, daß das Küssen mir gefallen würde.«
»Ich werde dich küssen, sobald du mir gesagt hast, wo MacPherson ist.«
Sinjun wußte nicht, was sie tun sollte. Sie hatte Angst um ihren Mann, und unglückseligerweise spiegelten sich ihre Gefühle in ihrem ausdrucksvollen Gesicht wider.
»Schlag dir jeden Gedanken an weitere Lügen sofort aus dem Kopf«, befahl er ihr auch. »Sag mir auf der Stelle die Wahrheit. Und danach wirst du mir versprechen, dich ab sofort aus meinen Angelegenheiten herauszuhalten.«
»Er ist in der Kate am westlichen Rand von Craignure Moor.«
»Ein ausgezeichnetes Versteck. Kein Mensch kommt je dorthin. Er dürfte inzwischen vor Wut kochen.«
»Er ist ja noch gar nicht so lange dort, erst etwa drei Stunden.«
»Ich möchte, daß du dich jetzt ausruhst, damit du schnell zu Kräften kommst.« Er stand auf und blickte auf sie hinab. »Es war keine gute Idee von mir, dich nicht anzurühren. Du bist meine Frau, und von nun an werde ich jede Nacht mit dir schlafen.«
»Das wäre schön«, murmelte sie geistesabwesend, während sie mit ihren schmalen Fingern die Decke zerknüllte. »Ich möchte dich begleiten, Colin. Ich möchte diese Sache mit dir zusammen durchstehen.«
Er betrachtete sie lange. »Ich habe dir doch erzählt, daß MacDuff mir ausgerichtet hat, du hättest nicht die Absicht, meine Schatulle zu stehlen. Als ich ihn völlig verständnislos anstarrte, erklärte er mir, daß er dir von meinem Vater und von meinem Bruder erzählt hatte. Ich wünschte, er hätte es nicht getan, aber nun ist es eben passiert. Mir ist mittlerweile klar, daß du nur versuchst, für Vere Castle, für mich und die Kinder von Bedeutung zu sein. Also gut, Joan — wir werden Robert MacPherson zusammen aufsuchen.«
»Danke, Colin.«
»Warten wir noch ein paar Stunden. Mir gefällt die Vorstellung, daß er immer mehr in Rage gerät.«
Sinjun grinste ihm zu, und zu ihrer großen Freude erwiderte er ihr Lächeln. »Schlaf jetzt. Ich wecke dich später.«
Es war ein guter Anfang, dachte sie, als er das Schlafzimmer verließ. Ein ausgezeichneter Anfang, auch wenn sie es nicht übers Herz gebracht hatte, ihm zu sagen, daß sie überhaupt nicht müde, sondern schrecklich hungrig war.
Es war kurz vor zehn Uhr abends. Sinjun saß in einem breiten Ohrensessel am Kamin auf dem Schoß ihres Mannes.
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