Die Jungfernbraut
IHRE SCHWESTER HEIRATEN UND SIE DANN EBENFALLS BESEITIGEN. ZWEIFELN SIE NICHT DARAN. ER IST VÖLLIG SKRUPELLOS UND ZU ALLEM FÄHIG, UM ZU BEKOMMEN, WAS ER WILL. DAS EINZIGE, WAS ER JETZT WILL, IST GELD.
Douglas haßte anonyme Briefe. Er fand feige Beschuldigungen dieser Art schäbig und unglaubwürdig, aber das Schlimmste war, daß sie dennoch Zweifel säten, ganz egal, was man persönlich von dem Beschuldigten hielt. Der Brief war vor einer Stunde von einem kleinen Jungen abgegeben worden, der dem Butler nur gesagt hatte, ein Mann habe ihn darum gebeten. Leider hatte Drinnen sich den Mann nicht beschreiben lassen. Douglas zerknüllte den Brief, während er wieder nervös auf und ab lief. Colin erholte sich rasch, und Sinjun vollführte Freudentänze und wollte Ende der Woche heiraten. Heute war schon Dienstag. Himmel, was sollte er nur tun?
Er wußte genau, daß der verdammte Brief Colin sogar des Mordes an einem ganzen Regiment beschuldigen könnte, ohne daß Sinjun sich darum kümmern würde. Sie würde es nicht glauben. Sie würde es niemals glauben, und sie würde eher ihrer ganzen Familie den Kampf ansagen als diesen Mann aufgeben.
Er konnte diese Angelegenheit aber auch nicht einfach auf sich beruhen lassen, und deshalb begab er sich sofort in Colins Schlafzimmer, sobald Alex und Sinjun das Haus verlassen hatten, um Sinjuns Hochzeitskleid bei Madame Jordan abzuholen.
Colin trug einen seiner eigenen Morgenröcke, dank Finkle, der in seine Wohnung alle Kleidungsstücke gepackt und in zwei Koffern zu den Sherbrookes gebracht hatte. Er stand neben dem Bett und blickte zur Tür hinüber.
»Brauchst du Hilfe?« fragte Douglas, während er den Raum betrat.
»Nein, danke. Ich möchte mir unbedingt beweisen, daß ich dieses Zimmer dreimal durchqueren kann, ohne auf die Nase zu fallen.«
Douglas lachte. »Wie oft hast du es denn schon geschafft?«
»Zweimal, im Abstand von fünf Minuten. Aber ich befürchte, daß das dritte Mal mich umbringen wird.« »Setz dich, Colin. Ich muß mit dir reden.«
Colin ließ sich bereitwillig in einem Ohrensessel am Kamin nieder, streckte sein Bein aus und begann es vorsichtig zu massieren. »Du hast Joan doch nichts von der Verletzung erzählt, oder?«
»Nein, nur meiner Frau, obwohl ich nicht so recht verstehen kann, warum Sinjun nichts davon wissen soll.«
»Sie wäre besorgt und wütend, und sie würde diese Sache nicht so ohne weiteres hinnehmen. Wahrscheinlich würde sie einen Detektiv anheuern und zusammen mit ihm auf die Jagd nach dem Angreifer gehen. Vielleicht würde sie auch eine Anzeige in der Gazette aufgeben und eine Belohnung für Informationen aussetzen, die zur Ergreifung des Täters führen. Solche Aktivitäten könnten sie in Gefahr bringen. Man muß sie vor sich selbst beschützen.«
Douglas starrte ihn überrascht an. »Du kennst sie erst seit so kurzer Zeit und doch ...« Er schüttelte den Kopf. »Genau das würde sie tun. Manchmal glaube ich fast, daß nicht einmal der liebe Gott ihre Pläne voraussehen kann, bevor sie zur Tat schreitet. Ihr Einfallsreichtum ist grenzenlos, mußt du wissen.«
»Ich nehme an, daß ich das bald am eigenen Leibe erleben werde.«
»Du hast mir noch gar nicht erzählt, wer dir diese Verletzung zugefügt hat.«
Colin wich Douglas' Blick aus. »Ein kleiner Ganove, der mich berauben wollte. Ich habe ihn niedergeschlagen, und da hat er plötzlich ein Messer aus dem Stiefel gezogen und zugestochen. Mein Schenkel war die höchste Stelle, die er erreichen konnte.«
»Hast du ihn umgebracht?«
»Nein, aber wahrscheinlich hätte ich es tun sollen. Der Mistkerl hätte nicht viel davon gehabt, wenn es ihm gelungen wäre, meine Taschen zu leeren. Ich hatte höchstens zwei Guineen bei mir.«
»Vorhin habe ich einen Brief erhalten, der dich des Mordes an deiner Frau beschuldigt.«
Douglas hatte den Eindruck, als zöge sich Colin schlagartig in eine Art Schneckenhaus tief in seinem Innern zurück.
Wollte er sich gegen Schmerzen wappnen? Oder gegen Schuldgefühle? Jedenfalls starrte er beharrlich an Douglas' linker Schulter vorbei.
»Der Brief war nicht unterschrieben. Ein Junge hat ihn hier abgegeben. Anonyme Briefe sind nicht nach meinem Geschmack. Sie vergiften das Klima und hinterlassen immer einen üblen Nachgeschmack.«
Colin schwieg.
»Niemand hat gewußt, daß du schon einmal verheiratet warst.«
»Ich dachte, es ginge niemanden etwas an.«
»Wann ist deine Frau gestorben?«
»Vor etwa einem halben Jahr.«
»Und
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