Die Jungfernbraut
wie?«
Colins Eingeweide zogen sich schmerzhaft zusammen. »Sie fiel von einer Felsklippe und brach sich den Hals.« »Hast du sie gestoßen?«
Colin gab keine Antwort, aber seine Stirn legte sich in zornige Falten.
»Hast du mit ihr gestritten? Ist es ein Unfall gewesen?« »Ich habe meine Frau nicht ermordet, und ich werde deine Schwester nicht ermorden. Davor hat der Briefschreiber dich doch wohl gewarnt.«
»O ja.«
»Wirst du Joan darüber informieren?«
Douglas blinzelte. Er konnte sich noch immer nicht daran gewöhnen, daß Colin seine Schwester >Joan< nannte. »Mir bleibt wohl nichts anderes übrig. Natürlich wäre es besser, wenn du es ihr selbst sagen würdest. Vielleicht solltest du ihr auch einige Erklärungen geben, die du mir vorenthältst.«
Colin schwieg.
Douglas stand auf. »Es tut mir leid«, seufzte er, »aber sie ist meine Schwester, und ich liebe sie sehr und muß sie beschützen. Deshalb muß ich auch darauf bestehen, daß jeder Verdacht ausgeräumt wird, bevor ihr heiratet.«
Colin widersprach nicht. Sobald er allein war, lehnte er den Kopf zurück, schloß die Augen und rieb sich den Schenkel. Die Stiche juckten, und die Haut war rosa. Die Wunde heilte schnell. Schnell genug?
Wer konnte diesen anonymen Brief geschrieben haben? Die MacPhersons waren die einzigen, die ein starkes Motiv hätten. Seine Frau, Fiona Dahling MacPherson, war die älteste Tochter des Gutsherrn gewesen. Aber der Alte hatte ihm damals nach Fionas Tod geglaubt, daß er sie nicht getötet hatte, und als Familienoberhaupt hatte Latham auch seinen Sohn Robert in Schach gehalten, der Colin des Mordes verdächtigte. Während der letzten Monate war Colin allerdings zu Ohren gekommen, daß Latham nicht mehr ganz richtig im Kopf sei und immer hinfälliger werde, was nicht weiter verwunderlich war, da er kaum jünger als die gälischen Felsen von Limner sein konnte. O ja, der Brief mußte von den MacPhersons, diesen erbärmlichen Feiglingen, stammen. Jemand anderer kam einfach nicht in Frage.
Trotz dieses verdammten Briefes mußte er Joan heiraten, und zwar schnell, weil sonst alles verloren wäre. Er zwang sich zur Ruhe und döste einige Stunden im Sessel vor sich hin. Als er aufstand, gelang es ihm, das Zimmer dreimal hintereinander zu durchqueren. Gott sei Dank, seine Kräfte nahmen zu. Hoffentlich schnell genug.
Die Entscheidung fiel beim Abendessen, das Joan mit ihm in seinem Zimmer einnahm. Als er gerade eine Gabel mit einem Stück Schinken zum Munde führte, hörte er sie sagen:
». . . Du darfst mich nicht mißverstehen, Colin, das Hochzeitskleid ist wirklich schön, aber dieses ganze Getue regt mich auf. Meine Mutter würde dir wahrscheinlich am liebsten einen Orden verleihen, weil du mir nun doch das schreckliche Schicksal einer alten Jungfer ersparst. Oh, ich hasse diesen ganzen Pomp einer Hochzeit. Am liebsten würde ich dich einfach von hier entführen, damit wir in aller Ruhe unser gemeinsames Leben beginnen können.«
Er fühlte sich grenzenlos erleichtert. Was ihrem Mund entströmte, war das reinste Manna. Da hatte er nun nachgedacht und gegrübelt, sich den Kopf zerbrochen und eine Idee nach der anderen verworfen, und dabei war dieses unglaubliche Mädchen von sich aus bereit, sich ihm vorbehaltlos auszuliefern.
»Ich bin noch nicht allzu kräftig«, wandte er pro forma ein.
»Bis zum Freitag wirst du es sein, vielleicht sogar schon früher. Oh, wenn du nur auf der Stelle gesund sein könntest!«
Colin holte tief Luft. »Ich muß dir etwas sagen, Joan. Nein, bitte hör mir zu. Es ist sehr wichtig. Dein Bruder wird die Hochzeit verbieten. Er hat mir gesagt, daß er das tun müsse, um dich zu beschützen.«
Sinjun starrte ihn an, führte langsam die Erbsen auf ihrer Gabel zum Mund, schluckte sie, trank einen Schluck Wein und wartete schweigend auf eine Erklärung.
»Verdammt, dein Bruder glaubt, ich hätte jemanden umgebracht. Er will es dir selbst erzählen, wenn ich es nicht tue. Wie gesagt, er glaubt dich beschützen zu müssen. Er will die Sache aufgeklärt haben, bevor wir heiraten dürfen. Leider läßt sich diese Geschichte niemals aufklären. Das habe ich ihm noch nicht gesagt, aber so ist es nun einmal. Wir werden nicht heiraten, Joan. Es tut mir leid, aber dein Bruder wird es nie erlauben, und ich muß mich seinen Wünschen beugen.«
»Wen sollst du denn umgebracht haben?«
»Meine erste Frau.«
»Das ist doch völlig absurd!« rief Sinjun sofort. »Nicht die Tatsache, daß du schon
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