Die Jungfernbraut
Wut zu kochen, und so atmete sie tief durch und sah sich in dem riesigen Schlafzimmer um, das mit dunkler Eiche getäfelt und wirklich schön war; nur machten die verschlissenen und sehr staubigen weinroten Vorhänge den Raum so düster wie eine Mönchszelle. Das Bett stand auf einem Podest und hätte ohne weiteres sechs Männern Platz bieten können. Alle Möbel waren alt, und sie erkannte den Tudorstil des riesigen Kleiderschranks in einer Ecke.
In ihrem Kopf erstellte sie bereits die von Colin gewünschte Liste. Es gab so unglaublich viel zu tun. Womit sollte sie beginnen? An den Empfang, der ihr als Gräfin von Ashburnham zuteil geworden war, wollte sie lieber nicht denken, aber es ließ sich einfach nicht verhindern.
Colin hatte seinen Arm um ihre Taille gelegt, während er sie durch die gewaltige Eichentür in die Halle führte, und er hielt sie weiter fest, als sich nach und nach die ganze Dienerschaft versammelte, die das zweifellos für eine sehr romantische Geste hielt. Die Spielmannsgalerie zog sich über drei Seiten der ersten Etage dahin, und das Geländer war alt und kunstvoll geschnitzt. Vom zweiten Stock hing ein gigantischer Kronleuchter herab. An den Wänden standen Tudorstühle mit hohen Rückenlehnen, aber ansonsten waren kaum Möbel zu sehen.
Sie nahm das alles wie durch einen Schleier hindurch wahr, während Colin ihr die Dienstboten vorstellte. Trotz ihrer Schmerzen lächelte sie und wiederholte jeden Namen. Schließlich war sie kein verzärteltes Geschöpf. Hinterher konnte sie sich allerdings an keinen einzigen Namen erinnern.
»Und dies ist meine Tante Arleth, die jüngere Schwester meiner Mutter. Arleth, dies ist meine Frau Joan.«
Sinjun reichte der älteren Dame mit dem spitzen Kinn lächelnd die Hand.
»Und dies ist — war — meine Schwägerin Serena.«
Aha, eine sehr hübsche junge Frau, die nicht viel älter als Sinjun selbst sein konnte und freundlich lächelte.
»Und dies sind meine Kinder. Philip und Dahling, kommt her und begrüßt eure neue Mama.«
In diesem Moment stockte Sinjun der Atem, und sie starrte ihren Mann ungläubig an. Er gab keine weiteren Erklärungen ab, aber sie konnte sich auch nicht verhört haben, denn zwei Kinder kamen langsam auf sie zu, mit mürrischen Gesichtern und mißtrauischen Augen, ein etwa sechsjähriger Junge und ein kleines Mädchen, das vier oder höchstens fünf Jahre alt war.
»Sagt Joan Guten Tag. Sie ist jetzt meine Frau und eure Stiefmutter.« Colins Stimme war tief und gebieterisch, und er selbst machte bisher keine Anstalten, seine Kinder zu begrüßen.
»Hallo, Joan«, sagte der Junge und fügte hinzu: »Ich heiße Philip.«
»Und ich bin Dahling«, sagte das Mädchen.
Sinjun versuchte zu lächeln. Sie liebte Kinder, aber ohne jede Vorwarnung eine Stiefmutter zu sein, war nicht ganz einfach. Sie blickte wieder zu Colin hinüber, aber er lächelte jetzt die Kleine an und hob sie hoch, und sie schlang die Arme um seinen Hals und rief: »Willkommen zu Hause, Papa!«
Papa ... Es konnte einfach nicht wahr sein, und doch war es wahr. Mühsam brachte Sinjun hervor: »Bist du wirklich ein Darling? Immerzu?«
»Natürlich. Was sollte ich denn sonst sein?«
»Ihr richtiger Name ist Fiona, wie der ihrer Mutter, aber weil das zu Verwechslungen führte, wurde sie bald nur noch Dahling genannt. Das ist ihr zweiter Name.« Er buchstabierte ihn.
»Hallo, Dahling und Philip, ich freue mich sehr, euch kennenzulernen.«
»Du bist sehr groß«, stellte Philipp fest, der das Ebenbild seines Vaters war, bis auf die kühlen grauen Augen, die sie skeptisch betrachteten.
»Du bist ganz zerknittert«, sagte Dahling. »Und du hast eine häßliche Narbe im Gesicht.«
Sinjun lachte. Kinder waren so herzerfrischend ehrlich. »Das stimmt. Dein Vater und ich sind den ganzen Weg von Edinburgh hierher geritten — nein,- sogar fast den ganzen Weg von York. Wir brauchen beide dringend ein heißes Bad.«
»Vetter MacDuff hat gesagt, du wärest nett, und wir sollten höflich zu dir sein.«
»Das wäre vielleicht keine schlechte Idee.«
»Genug, Kinder.« Tante Arleth näherte sich. »Entschuldigen Sie bitte, äh . . .«
»Bitte nennen Sie mich Sinjun.«
»Nein, nenn sie Joan.«
Serena blickte forschend von Sinjun zu Colin, und in diesem Augenblick wünschte Sinjun sehnlichst, sie würde auf den Klippen in der Nähe von Northcliffe Hall stehen und auf den Kanal hinausblicken, während der Seewind ihre Haare zerzauste. Sie hatte Schmerzen zwischen den
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