Die Jungfernbraut
Serena und entschwand leichtfüßig.
Sinjun blickte ihr kopfschüttelnd nach und machte sich auf den Weg zum Kinderzimmer, wurde aber von der Haushälterin, Mrs. Seton, aufgehalten, einer Frau mit sehr dunklen Augen und dichten dunklen Brauen, die über der Nase fast zusammenwuchsen. Ihr Mann spielte eine wichtige Rolle in der Kirche, hatte Colin erzählt, und war außerdem Verwalter der Familie Kinross. Sinjun schenkte ihr ein strahlendes Lächeln.
»Mylady, ich habe gehört . . . alle haben es gehört . . . daß wir jetzt nicht mehr so schrecklich in der Patsche sitzen.«
»Das stimmt. Seine Lordschaft ist zur Zeit in Edinburgh, um uns alle aus dem Styx zu retten.«
Mrs. Seton holte tief Luft. »Gut. Ich habe mein ganzes Leben hier im Schloß verbracht, und der Niedergang hat mich sehr bedrückt.«
Sinjun dachte an Philip und Dahling und beschloß, Dulcie noch eine Weile ihrem Schicksal zu überlassen. »Vielleicht könnten wir uns in Ihrer Wohnung zusammensetzen und bei einer Tasse Tee eine Liste erstellen, was alles benötigt wird.«
Eine Liste, die von Colin abgesegnet werden mußte. Das war einfach absurd. Was verstand denn Colin schon von Bettwäsche, Vorhängen, rissigen Stuhlbezügen, Geschirr und Pfannen?
»Und dann müssen Sie mir erzählen, wo wir alles, was wir brauchen, besorgen können.«
Mrs. Seton schien den Tränen nahe. Ihre Wangen überzogen sich mit freudiger Röte. »O ja, Mylady, o ja!«
»Mir ist auch aufgefallen, daß die Dienstboten nicht gut gekleidet sind. Gibt es in Kinross eine ordentliche Schneiderin? Die Kinder brauchen ebenfalls dringend neue Sachen.«
»O ja, Mylady, wir werden nach Kinross fahren — das ist ein kleiner Ort am anderen Ende des Loch Leven. Dort gibt es alles, was wir benötigen. Gute Ware, wie Sie sehen werden. Es ist gar nicht nötig, nach Edinburgh oder Dundee zu fahren.«
»Es wird Colin gar nicht gefallen, daß du dich hier einmischst, kaum bist du angekommen. Du gehörst nicht hierher, und trotzdem versuchst du sofort, alles an dich zu reißen. Das werde ich nicht dulden.«
Sinjun zwinkerte Mrs. Seton zu, bevor sie sich Tante Arleth zuwandte: »Ich dachte, Sie hätten starkes Kopfweh, Madam?«
Tante Arleth kniff die Lippen zusammen. »Ich bin aufgestanden, weil mich die Sorge quälte, was du alles anstellen könntest.«
»Fangen Sie bitte schon mit der Liste an, Mrs. Seton. Ich komme bald nach — in Ihr Wohnzimmer, ja? Später möchte ich auch alle Dienstbotenräume sehen.«
»Ja, Mylady.« Mrs. Seton entfernte sich sichtlich beschwingt und energiegeladen.
»Nun, Tante Arleth, was willst du jetzt tun?« Sinjun hatte soeben beschlossen, die Frau zu duzen.
»Tun? Was meinst du damit?«
»Hast du die Absicht, mich weiterhin aus dem Hinterhalt zu attackieren? Willst du durch dieses unfreundliche Benehmen uns allen das Leben schwermachen?«
»Du bist ein junges Mädchen! Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen?«
»Ich bin Colins Frau, die Gräfin von Ashburnham, und ich hätte sogar das Recht, dir zu sagen, daß du dich zum Teufel scheren sollst, Tante Arleth.«
Die Dame bekam einen hochroten Kopf, und Sinjun befürchtete einen Moment lang, ihre Offenheit etwas übertrieben zu haben. Was wäre, wenn Tante Arleth nun ohnmächtig zu Boden sinken würde? Aber gleich darauf stellte sie beruhigt fest, daß die ältere Dame hart im Nehmen war. »Du stammst aus einer privilegierten, reichen Familie, und du bist Engländerin«, wurde ihr vorgeworfen. »Du hast keine Ahnung, wie einem zumute ist, wenn alles ringsum verfällt! Wenn man mit ansehen muß, daß die Kinder der Pächter vor Hunger weinen! Du kommst einfach daher, prahlst mit deinem Geld und erwartest, daß wir alle dir zu Füßen fallen.«
»Das erwarte ich keineswegs«, sagte Sinjun langsam. »Ich erwarte nur, daß man mir eine faire Chance gibt. Du kennst mich doch überhaupt nicht, und Vorurteile sind selten hilfreich. Können wir nicht versuchen, in Frieden zusammenzuleben? Kannst du mir nicht wenigstens eine Chance geben?«
»Du bist sehr jung.«
»Ja, aber im Laufe der Jahre dürfte ich älter werden.«
»Außerdem bist du frech, junge Dame.«
»Das habe ich von meinen Brüdern gelernt.«
»Colin dürfte nicht Earl of Ashburnham sein. Er ist zweiter Sohn, und er hat sich seinem Vater widersetzt und sich geweigert, für den Kaiser zu kämpfen.«
»Ich bin sehr erleichtert, daß er nichts mit Napoleon zu tun hatte. Trotzdem hat Colin seinem Vater doch einen Gefallen getan
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