Die Jungfernbraut
— er hat die Fehde mit den MacPhersons beendet, indem er Fiona heiratete. So war es doch, oder?«
»Ja, aber was ist daraus geworden? Er hat das Luder umgebracht. Er hat Fiona in die Tiefe gestoßen und dann so getan, als wüßte er nicht, was passiert war, als könnte er sich an nichts erinnern. O ja, und jetzt ist er der Graf, und die MacPhersons befinden sich wieder auf dem Kriegspfad.«
»Du weißt genau, daß Colin seine Frau nicht umgebracht hat. Warum haßt du ihn so?«
»Doch, er hat sie ermordet. Wer denn sonst? Sie hat ihn mit seinem eigenen Bruder betrogen. Das schockiert dich, was, du ahnungslose Engländerin? Es stimmt aber. Colin hat das herausgefunden und sie umgebracht, und es würde mich gar nicht wundern, wenn er auch seinen Bruder umgebracht hätte, den schönen Jungen, meinen schönen, klugen Jungen! Aber diese verdammte Fiona hat sich ihm regelrecht an den Hals geworfen und ihn verführt, und er konnte sich ihrer nicht erwehren, und so kam es eben zur Katastrophe.«
»Tante Arleth, du redest sehr viel, aber lauter wirres Zeug.«
»Du törichtes Geschöpf! Colin hat dir wohl durch sein gutes Aussehen den Kopf verdreht, und du konntest es gar nicht erwarten, mit ihm ins Bett zu gehen und Gräfin zu werden. Alle Mädchen wollen ihn, weil sie keinen Verstand haben, und du bist genauso dumm wie alle anderen und . . .«
»Du hast doch gesagt, daß Fiona ihn nicht wollte, obwohl sie seine Frau war.«
»Er mochte sie nach einer Weile nicht mehr. Und ihr hat mißfallen, wie er sie behandelt hat. Sie war schwierig.«
»Ich weiß nur eines mit absoluter Sicherheit — daß Fiona keine gute Hausfrau war. Du brauchst dich nur einmal umzuschauen, Tante Arleth — alles ist verwahrlost, und nicht nur aus Geldmangel, sondern weil niemand ein Staubtuch oder einen Schrubber zur Hand genommen hat! Und jetzt würde ich vorschlagen, daß du dich beruhigst und eine Tasse Tee trinkst. Ich habe die Absicht, hier Ordnung zu schaffen, und du kannst mir entweder dabei helfen, oder ich werde dich einfach ignorieren.«
»Ich werde es nicht zulassen!«
»Es ist mein voller Ernst, Tante Arleth. Willst du mit mir Zusammenarbeiten, oder soll ich einfach so tun, als wärest du nicht vorhanden?«
Sie hörte sich sehr energisch und selbstbewußt an, aber insgeheim war ihr vor Angst fast übel. Ihr erstes Ultimatum! Sie hatte sich beim Sprechen ihre Mutter vorgestellt, der nie jemand zu widersprechen wagte.
Tante Arleth schüttelte den Kopf und stolzierte davon. Sinjun war erleichtert, daß sie das Gesicht der Dame nicht sehen konnte. Sie hatte gewonnen, zumindest vorerst.
Während sie ein riesiges Spinnennetz am Kronleuchter betrachtete, fragte sie sich, warum Mrs. Seton eine solche Schlamperei geduldet hatte. Die Haushälterin machte doch einen sehr tüchtigen Eindruck. Ihre Frage wurde eine Stunde später beantwortet, als die große Liste fertig war und sie zusammen Tee tranken.
»Nun, Mylady, Miss MacGregor hat es einfach nicht erlaubt.«
»Wer ist Miss MacGregor? Oh, ich verstehe, Tante Arleth.«
»Ja. Sie sagte, wenn sie jemanden sehen würde, der auch nur einen Finger rührt, um den gröbsten Schmutz zu beseitigen, würde sie ihn persönlich auspeitschen.«
»Aber sie hat mir gerade erzählt, wie sehr sie darunter leidet, daß alles in einem so trostlosen Zustand ist, und daß die Kinder der Pächter vor Hunger weinen.«
»So eine Gemeinheit! Die Kinder unserer Pächter sind nie hungrig. Oh, wenn das Seine Lordschaft gehört hätte, wäre er in Rage geraten.«
»Wie seltsam! Sie versucht offenbar, Zwietracht zu säen. Aber warum nur?« Insgeheim fragte sich Sinjun, ob die Frau auch in allen anderen Dingen die Unwahrheit sagte. Höchstwahrscheinlich.
»Seit ihre Schwester, Lady Judith, vor etwa fünf Jahren gestorben ist — das war die Mutter Seiner Lordschaft —, hat Miss MacGregor geglaubt, daß der alte Graf sie heiraten würde, aber das hat er nicht getan. Ich glaube, daß er ein Verhältnis mit ihr hatte, aber an eine kirchliche Trauung hat er bestimmt nie gedacht. Männer, oje! Sie sind doch alle gleich, bis auf Mr. Seton, der gegen alle fleischlichen Gelüste gefeit zu sein scheint.«
»Das tut mir sehr leid, Mrs. Seton.«
»Ja, Mylady, mir auch. Jedenfalls war Miss MacGregor sehr wütend, und im Laufe der Zeit wurde sie immer verbitterter und immer unfreundlicher zu uns allen. Der einzige, den sie liebte und verhätschelte, war Malcolm, der ältere Bruder Seiner Lordschaft. Sie hat ihn von
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