Die Jungfernbraut
jeher wie einen kleinen Prinzen behandelt, und Malcolm hat sie sogar seiner eigenen Mutter vorgezogen, weil sie ihn maßlos verwöhnte, während seine Mutter ihm ordentlich auf die Finger klopfte, wenn er ungezogen war. Dann rannte er immer zu Miss MacGregor und heulte ihr etwas vor. Überflüssig zu sagen, daß das schlecht für seinen Charakter war. Er entwickelte sich zu einem richtigen Taugenichts. Entschuldigen Sie bitte, Mylady, aber es gibt dafür keinen milderen Ausdruck. Er war ein Taugenichts, genau wie sein Vater. Dann ist er ganz unerwartet gestorben, und Master Colin wurde Graf und Familienoberhaupt. Wir müssen noch abwarten, ob er sich bewähren wird. Jedenfalls ist er kein Taugenichts, und er ist ein gerechter Mann. Was nun aber den Zustand des Hauses betrifft, so bemerken Herren Schmutz meistens erst, wenn ihnen die Spinnweben in die Suppe fallen. Und Fiona hat sich überhaupt nicht um den Haushalt gekümmert. Als ich den neuen Grafen schließlich doch einmal darauf angesprochen habe, hat er gesagt, wir hätten kein Geld.«
»Nun, jetzt haben wir Geld, und wir haben den festen Willen, etwas zu tun, und gemeinsam werden Sie und ich es schon schaffen. Bis Seine Lordschaft zurückkommt, wird Vere Castle wieder so aussehen wie zu Lebzeiten seiner Mutter.«
Sinjun verließ die Wohnung der Haushälterin fröhlich pfeifend, sehr zufrieden mit sich, weil sie in weiser Voraussicht ihre immer noch fast zweihundert Pfund Colins Geldbörse wieder entnommen hatte. Was er wohl denken würde, wenn er das Geld vermißte?
Sinjun lag in dem riesigen Bett, das trotz sauberer Bettwäsche und gut gelüfteter Decken noch immer etwas muffig roch, weil das Zimmer zu lange nicht benutzt worden war.
Ihre ersten drei Tage in Vere Castle waren schnell vergangen, weil es unendlich viel zu tun gab. Mrs. Seton hatte schon ein gutes Dutzend Frauen und sechs Männer zum Putzen angeheuert, und Sinjun hatte die Absicht, das Schlafzimmer höchstpersönlich einer gründlichen Reinigung zu unterziehen. Wenn sie einfach untätig bliebe, würde die von Colin gewünschte Liste bei seiner Rückkehr bis zur Nordsee reichen. Freilich hatte sie nie die Absicht gehabt, die Hände in den Schoß zu legen, bis ihr Herr Gemahl die Güte hatte, nach Hause zu kommen. Mrs. Seton, eine Lokalpatriotin, wie sie im Buche stand, lieferte ihr alle nötigen Informationen, und heute vormittag waren sie zusammen in Kinross gewesen, einem Fischerort, in dem es außer Läden aller Art auch eine Schneiderin und einen guten Schreiner gab. Sinjun hatte Colins Zimmer im Nordturm besichtigt und war begeistert, gleichzeitig aber auch entsetzt gewesen. Die Holztreppe war so morsch, daß es gefährlich war, sie zu betreten, und der Raum war schimmelig. Wenn hier nicht schnell etwas geschah, würden alle Bücher Stockflecken bekommen. Sie nahm sich vor, alles instand setzen zu lassen, bevor ihr Mann je wieder einen Fuß in sein Turmzimmer setzte.
Mrs. Seton, Murdock der Bucklige — der Sinjun nur bis zur Achsel reichte und zu Colins treuesten Dienern gehörte — und Mr. Seton, der Verwalter, der fleischlichen Genüssen abhold war, hatten sie nach Kinross begleitet, aber die Männer hatten sehr schnell eingesehen, daß sie keineswegs die Absicht hatte, ihnen die Verhandlungen mit dem Schreiner zu überlassen.
Der hübsche kleine Ort lag am Loch Leven. Eine schmale Straße führte von Vere Castle an der Nordseite des Sees entlang, und die Pferde kannten den Weg genau. Das Wasser war verblüffend blau, und die Hügel waren teils grün, teils kahl. Jeder Fußbreit Ackerboden war bestellt, und jetzt im Frühsommer standen Weizen, Roggen, Gerste und Mais schon ziemlich hoch.
Als sie in Konross einritten, hatte Mr. Seton Sinjun sofort auf die Kirche aufmerksam gemacht und sich lang und breit über die Tugenden des Ortspfarrers und über lasterhafte Menschen ausgelassen, denen die Hölle sicher war. Er hatte ihr auch das alte Kreuz gezeigt, das einst als Pranger gedient hatte, und Sinjun war aufgefallen, daß der Bucklige am liebsten einen Bogen um die Kirche und um jenes Kreuz mit den daran befestigten Eisenfesseln gemacht hätte.
Sie mochte die Gräfin von Ashburnham sein, aber die Geschäftsleute schienen zunächst sehr zu bezweifeln, daß sie die Rechnungen auch bezahlen konnte. Ein zahnloser Greis hatte geschimpft, der alte Graf habe ja sogar das Kinross Mills House verkauft, wo sich jetzt ein Eisenwarenhändler breitmache und als großer Herr aufspiele. Mrs. Seton
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