Die Jungfernbraut
zuviel.
»Schluß jetzt, Crocker!« erklärte sie sehr energisch. »Füllen wir unsere Eimer und verlassen wir diesen Höllenpfuhl.«
Auf dem Rückweg wurden sie von einem Wolkenbruch überrascht, der den Nachmittag in Nacht verwandelte. Die Temperatur fiel schlagartig, und Sinjun hüllte Philip, der vor Kälte zitterte, in ihre Reitjacke. Crocker, der nur ein Baumwollhemd trug, wurde naß bis auf die Haut, und Sinjun sorgte dafür, daß er vor dem Feuer in der Küche ein heißes Bad nahm, während Philip in seinem Zimmer badete und zur Schlafengehenszeit wieder ganz munter war.
Am nächsten Morgen kletterte Dahling auf Sinjuns Bett, weil sie es kaum erwarten konnte, auf Fanny zu reiten.
»Es ist schon spät, Sinjun. Steh auf! Ich bin fertig angezogen.«
Sinjun öffnete ein Auge, sah das kleine Mädchen, das neben ihr saß, aber nur verschwommen.
»Es ist sehr spät«, wiederholte Dahling.
»Wie spät ist es denn?« Ihre Stimme war heiser und krächzend, und als sie kräftig zwinkerte, um den Schwindel zu vertreiben, raubte ihr ein Schmerz über den Augen fast die Sinne. Stöhnend sank sie wieder auf ihr Kissen. »O nein, Dahling, ich bin krank. Komm nicht näher.«
Aber Dahling beugte sich vor und legte ihre kleine Hand an Sinjuns Wange. »Du bist heiß, Sinjun, sehr heiß.«
Fieber! Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Sie mußte aufstehen, sich ankleiden und endlich versuchen, MacPherson außer Gefecht zu setzen, und außerdem mußte sie . . .
Sie versuchte aufzustehen, war dazu aber viel zu schwach. Jeder Muskel, jeder Knochen schmerzten wahnsinnig. Besorgt sprang Dahling vom Bett hinunter. »Ich hole Dulde. Sie weiß bestimmt, was man tun muß.«
Aber es war nicht Dulcie, die etwa zehn Minuten später das Schlafzimmer betrat, sondern Tante Arleth.
»Nun, endlich hat's dich erwischt!«
Sinjun öffnete mühsam die Augen. »Scheint so.«
»Du hörst dich wie ein Frosch an. Crocker und Philip sind ganz gesund. Aber es war ja wohl zu erwarten, daß von den dreien das verzärtelte englische Fräulein krank wird.«
»Ja. Ich hätte gern etwas Wasser, bitte.«
»Aha, durstig? Nun, ich bin nicht deine Dienerin. Ich lasse Emma holen.«
Sie ging, ohne sich noch einmal umzudrehen. Sinjun wartete. Ihre Kehle war so trocken, daß jeder Atemzug schmerzte, bis sie in einen unruhigen Schlaf fiel.
Als sie aufwachte, stand Serena neben dem Bett.
»Wasser, bitte.«
»Aber ja.« Serena verließ das Zimmer, und Sinjun war den Tränen nahe. O Gott, was sollte sie nur tun?
Im Gegensatz zu Tante Arleth kehrte Serena aber wenige Minuten später mit einer Wasserkaraffe und mehreren Gläsern zurück. Sie füllte eines davon und hielt es an Sinjuns Lippen.
»Du mußt langsam trinken«, sagte sie mit sanfter, einschmeichelnder Stimme. »Mein Gott, du siehst wirklich schlecht aus, ganz weiß im Gesicht und ganz verschwitzt. Nein, du siehst gar nicht gut aus.«
Es war Sinjun gleichgültig, wie sie aussah. Sie trank und trank. Als ihr Durst endlich gestillt war, keuchte sie vor Anstrengung und sank erschöpft in die Kissen.
»Ich kann nicht aufstehen, Serena.«
»Nein, ich sehe schon, daß du wirklich ziemlich krank bist.«
»Gibt es in dieser Gegend einen Arzt?«
»O ja, aber er ist alt und gebrechlich und macht kaum noch Hausbesuche.«
»Schick bitte nach ihm, Serena.«
»Ich werde mit Tante Arleth darüber sprechen, Joan.« Sie schwebte hinaus, in einem dunkelroten Seidenkleid mit langer Schleppe. Sinjun versuchte, sie zurückzurufen, brachte aber nur ein Flüstern hervor.
»Wir haben kein Geld für einen Arzt.«
Es war Tante Arleth. Sinjun war mittlerweile so schwindelig, daß sie die Frau nur ganz verschwommen sah, ebenso wie die Uhr in der Nähe des Bettes. Soweit sie erkennen konnte, war es Spätnachmittag. Sie war wieder schrecklich durstig und verspürte außerdem ein dringendes Bedürfnis.
»Bitte hol Emma oder Dulcie.«
»O nein, Dulcie hat mit den Kindern genug zu tun. Du meine Güte, es ist sehr warm in diesem Zimmer. Du brauchst unbedingt frische Luft.«
Tante Arleth riß die Fenster auf und zog die Brokatvorhänge so weit wie möglich zurück. »So, das wird dein Fieber senken. Gute Besserung, meine Liebe. Ich sehe später wieder nach dir.«
Sie verschwand. Sinjun war allein. Im Zimmer wurde es sehr schnell kälter.
Unter Aufbietung aller Willenskraft gelang es ihr, den Nachttopf zu benutzen. Dann taumelte sie wieder ins Bett und verkroch sich zähneklappernd unter den Decken.
Am nächsten
Weitere Kostenlose Bücher