Die Jungfernbraut
auch bekommen; aber er ist mit ihr nur ins Bett gegangen, nicht zum Altar. Schon seltsam, wie das Leben spielt, nicht wahr?«
Sinjun fröstelte, nicht etwa, weil die Nachmittagssonne hinter grauen Wolken verschwunden war, sondern weil sie solche Konflikte in ihrer eigenen Familie nie erlebt hatte. Ihre Mutter konnte zwar eine echte Landplage sein, aber weder sie selbst noch ihre Brüder hatten jemals wirklich darunter gelitten, und rückblickend kam ihr manches sogar ganz amüsant vor.
»Aber jetzt ist Colin der Graf«, sagte MacDuff. »Er ist ein guter Mann, und meiner Meinung nach hat er eine ausgezeichnete Frau gefunden.«
»Das stimmt«, kommentierte sie sarkastisch. »Das Bedauerliche ist nur, daß er nicht hier ist, um sein Glück zu genießen.«
Auch in den nächsten zwei Tagen war von Colin nichts zu hören und zu sehen. MacDuff war sehr freundlich und hilfsbereit. Er gab Philip und ihr Fechtunterricht und freute sich, daß beide Schüler im Umgang mit dem Rapier großes Geschick an den Tag legten. Und er machte Sinjun viele Komplimente über den Zustand des Hauses, worauf sie erwiderte, daß Wasser und Seife nicht teuer seien.
»Aber man braucht viel Mut und Standhaftigkeit, um Tante Arleths ständiges Klagen und Keifen zu ertragen.«
Sinjun besah sich Colins Waffensammlung und wählte eine kleine Taschenpistole mit Doppellauf aus, die höchstens fünfzehn Jahre alt war und sich mühelos in der Rocktasche ihres Reitkostüms verstecken ließ. Sie hatte beschlossen, selbst den Köder für Robert MacPherson zu spielen. Zweifellos ließ er Vere Castle von seinen Leuten beobachten. Deshalb ließ sie Philip und Dahling nur unter Aufsicht aus dem Haus, und falls sich die Kinder darüber wunderten, erhoben sie keine Einwände.
Am Morgen von MacDuffs Abreise erklärte Dahling beim Frühstück zwischen zwei Löffeln Porridge unvermittelt: »Ich habe beschlossen, daß du doch nicht häßlich bist, Sinjun.«
MacDuff starrte das kleine Mädchen schockiert an, aber Sinjun lachte nur. »Vielen Dank, Dahling. Ich traute mich kaum noch, in den Spiegel zu schauen.«
»Darf ich auf Fanny reiten?« »Aha, jetzt verstehe ich — eine Kriegslist«, stellte MacDuff fest.
»Wäre ich wieder häßlich, wenn ich nein sagen würde?«
Dahling blickte unschlüssig drein, doch schließlich schüttelte sie den Kopf. »Nein, du wärest nur keine große Schönheit wie ich.«
»Nun, vielleicht könnten wir einen Kompromiß schließen. Ich setze dich vor mich in den Sattel, und wir reiten zusammen.«
Dahling strahlte, und Sinjun wußte genau, daß die Kleine genau das gewollt hatte.
»Beide Kinder nennen dich jetzt also Sinjun.«
»Ja.«
»Ich bin überzeugt davon, daß auch Colin es bald tun wird. Soll ich ihm etwas von dir ausrichten?«
Ihr wurde klar, daß sie ihren Mann nicht in Vere Castle gebrauchen konnte, bis sie MacPherson ausgeschaltet hatte, und sie hatte keine Ahnung, wie lange das dauern würde. Deshalb sagte sie nur: »Richte ihm bitte aus, daß die Kinder und ich ihn vermissen, daß aber ansonsten alles in Ordnung ist. O ja, noch etwas, MacDuff. Sag ihm, ich würde nie seine in der Eiche versteckte Schatulle stehlen.«
Er küßte sie auf die Wange. »Ich glaube nicht, daß Colin auch nur ein Gedicht gelesen hat, seit Malcolm ihm jenes Buch weggenommen hat.«
»Ich werde darüber nachdenken.«
»Auf Wiedersehen, Sinjun.«
Sie blickte ihm von der Freitreppe aus nach, bis Pferd und Reiter nicht mehr zu sehen waren, und entschied, daß es nun an der Zeit war, in bezug auf Robert MacPherson zur Tat zu schreiten.
Doch sie kam nicht dazu, ihren Vorsatz auszuführen, weil Philip ihr unbedingt den Cowal Swamp zeigen wollte. Er bettelte und bettelte und stellte ihr sogar mit Verschwörermiene in Aussicht, sie könne Schlamm für ihre eigenen Zwecke mitbringen. Der Versuchung, Tante Arleths Reaktion auf Schlamm zu testen, konnte Sinjun natürlich nicht widerstehen.
Crocker begleitete sie, und Sinjun fiel auf, daß er gut bewaffnet war, wahrscheinlich auf Colins Befehl hin. Crocker hatte den Namen MacPherson nur ein einziges Mal ausgesprochen und hinterher ausgespuckt.
Sie ritten eine gute Stunde lang durch eine herrlich wilde Heidelandschaft, und dann lag plötzlich der Sumpf vor ihnen, ein unheimlicher, widerwärtiger Ort, an dem es nach Schwefel stank.
Crocker erzählte Sinjun ausführlich alles Wissenswerte über den Cowal Swamp, was. die unzähligen Stechmücken weidlich ausnützten. Schließlich wurde es ihr
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