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Die Jungfernbraut

Titel: Die Jungfernbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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Morgen schlüpfte Philip ins Zimmer, rannte zum Bett und betrachtete Sinjun. Sie schlief, zitterte aber wie Espenlaub, und als er ihr die Hand auf die Stirn legte, zog er sie hastig wieder zurück, denn sie glühte regelrecht.
    Im Zimmer war es sehr kalt. Die Fenster waren weit geöffnet. Tante Arleth, dachte er. Sie hatte am Vorabend allen erzählt, daß Sinjun fast schon wieder gesund sei, daß sie nur im Bett bleibe, weil sie eine faule Engländerin sei, die es genieße, andere Leute herumzukommandieren. Sie hatte alle gegen Sinjun aufhetzen wollen, das war Philip klar, aber er hatte Angst, diesen Gedanken weiterzuverfolgen. Statt dessen schritt er zur Tat, schloß die Fenster, zog die Vorhänge zu, holte Decken aus seinem Zimmer und breitete sie über den anderen Decken aus.
    »Durst«, flüsterte Sinjun.
    Er hielt ihren Kopf in seiner Armbeuge und hielt ihr das Glas an die Lippen. Sie war so schwach, daß sie kaum trinken konnte, und er ängstigte sich plötzlich sehr.
    »Es geht dir nicht besser«, stellte er fest.
    »Nein. Ich bin sehr froh, daß du hier bist, Philip. Du bist hier ... ich habe dich vermißt ... hilf mir bitte, Philip. ..«Ihre Stimme war immer schwächer geworden, und er begriff, daß sie nicht einfach eingeschlafen war, sondern das Bewußtsein verloren hatte.
    Tante Arleth hatte ihnen verboten, das Schlafzimmer zu betreten, damit sie sich nicht bei ihrer Stiefmutter ansteckten, die aber nur eine leichte Erkältung hätte und selbst nicht wollte, daß jemand sie besuchte.
    Es war keine leichte Erkältung. Tante Arleth hatte gelogen. Sinjun war sehr krank.
    Er betrachtete sie angsterfüllt und überlegte, was er tun sollte.
    »Du ungehorsamer kleiner Junge! Raus mit dir! Hast du gehört, Philip? Komm sofort her!«
    Philip drehte sich um. Tante Arleth stand mit bitterböser Miene auf der Schwelle.
    »Sinjun ist sehr krank. Sie braucht Hilfe.«
    »Ich helfe ihr ja. Hat sie etwas gesagt? Sie versucht nur, dein Mitleid zu erregen und dich gegen mich aufzuhetzen. Du siehst doch, daß ich hier bin, um ihr zu helfen, du dummer Junge. Ich will nicht, daß du ihr zu nahe kommst, weil du dich anstecken könntest.«
    »Du hast doch gesagt, daß sie nur im Bett liegen würde, weil sie faul ist. Wie könnte ich mich an Faulheit anstecken?«
    »Sie hat immer noch ganz leichtes Fieber, wirklich nichts Schlimmes, aber in Abwesenheit deines Vaters ist es meine Pflicht, auf euch aufzupassen. Deshalb muß ich verhindern, daß ihr krank werdet.«
    »Sinjun hat sich sehr gut um mich und Dahling gekümmert.«
    »Deine Stiefmutter ist ein dummes und verantwortungsloses Ding, sonst wäre sie nie mit dir zu dem verdammten Sumpf geritten. Sie hat sich nur aufgespielt und so getan, als wäre sie für euch verantwortlich. In Wirklichkeit macht sie sich nicht das geringste aus Dahling und dir. Sie kann uns alle nicht ausstehen, aber sie genießt es, uns Befehle zu erteilen und uns ihren Reichtum unter die Nase zu reiben. O ja, sie sieht in uns allen nur arme Verwandte, die sie widerwillig um sich dulden muß. Was glaubst du denn, warum dein lieber Vater nicht zu Hause ist? Nur ihretwegen. Er kann ihre Gesellschaft nicht ertragen, weil sie ihm ständig seine Armut vorhält. Sie gehört nicht hierher, sie ist eine Engländerin. Komm jetzt sofort her, Philip! Ich sage es nicht noch einmal.«
    »Die Fenster waren geöffnet, Tante.«
    »Um Himmels willen, ja, sie hat mir befohlen, sie zu öffnen. Ich habe ihr gesagt, daß das sehr unvernünftig sei, aber sie hat so lange auf mich eingeredet, bis ich schließlich nachgegeben habe.«
    Er wußte genau, daß sie log, und seine Angst wuchs ins Unermeßliche. Eine innere Stimme sagte ihm, daß Sinjun sterben werde, wenn er nicht schnell etwas unternahm.
    »Komm jetzt endlich, Philip!«
    Langsam ging er auf Tante Arleth zu und nickte sogar, so als hätte sie ihn völlig überzeugt. Er wußte jetzt genau, was er zu tun hatte.
    Von der Schwelle aus beobachtete er, wie sie zum Bett ging und ihre Hand auf Sinjuns Stirn legte. »Ich wußte es ja«, sagte sie. »Deine Stiefmutter hat kaum noch Fieber. Wir brauchen keinen Arzt.«
    Philip rannte davon.

KAPITEL 14
    Northcliffe Hall,
    unweit von New Romney, England
    Alexandra Sherbrooke, Gräfin von Northcliffe, hielt ein gemütliches Nachmittagsschläfchen, mit ausdrücklicher Billigung ihrer Schwiegermutter, die ihr sogar die Wange getätschelt hatte, was man mit etwas gutem Willen als Ausdruck von Zuneigung deuten konnte — freilich nur,

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