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Die Jungfrau Im Eis

Die Jungfrau Im Eis

Titel: Die Jungfrau Im Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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er bei zu genauem Hinsehen verblaßte und verschwand. Das Gesicht war zerbrechlich, zart und jung.
    Also doch ein Lamm. Ein verirrtes Jährlingslamm, ein Lamm Gottes, nackt und mißhandelt und ermordet. Achtzehn Jahre alt? Das konnte sein. Es sah so aus, als sei Ermina Hugonin wiedergefunden und zugleich für immer verloren.

4. Kapitel
    Im Augenblick konnte er hier nichts tun. Er war allein, und wenn er noch lange hier blieb, mochte der Junge kommen um nachzusehen, was ihn aufhielt. Eilig erhob er sich von den Knien und ging dorthin zurück, wo das Pferd mit den Hufen aufstampfte und den Kopf schüttelte, weil es sich nach seinem Stall sehnte. Eher neugierig als besorgt sah ihm der Junge entgegen.
    »Was war denn? Is t irgendetwas nicht in Ordnung?«
    »Nichts, worüber du dir Sorgen machen müßtest.« Jedenfalls noch nicht, nicht bevor du es erfahren mußt, dachte Cadfael, und bei diesem Gedanken spürte er einen Stich in seinem Herzen. Erst müssen wir dir etwas zu essen geben, dich wärmen und dir das Gefühl geben, daß dein eigenes Leben sicher ist - dann erst sollst du hiervon erfahren. »Ich dachte, ich hätte dort im Eis ein Schaf gesehen, aber ich habe mich geirrt.«
    Er stieg auf, griff um den Jungen herum und nahm die Zügel.
    »Wir sollten uns beeilen. Bis wir nach Bromfield kommen, wird es stockdunkel sein.«
    An der Weggabelung hielten sie sich rechts, wie Thurstan gesagt hatte. Der Weg war gerade und leicht gangbar. Er verlief auf halber Höhe des Hügels. In Cadfaels Arm wurde der stämmige Körper des Jungen schwerer und schlaffer, der Kopf mit dem braunen Haarschopf lehnte müde an seiner Schulter.
    Wenn wir auch deine Schwester nicht retten konnten, dachte Cadfael in stummem Kummer und Zorn, so haben wir dich wenigstens in Sicherheit gebracht.
    »Ihr habt mir noch nicht Euren Namen gesagt«, sagte Yves gähnend. »Ich weiß nicht, wie ich Euch anreden soll.«
    »Ich heiße Cadfael und bin Waliser aus Trefriw. Jetzt lebe ich im Kloster von Shrewsbury, und dorthin, glaube ich, hattet ihr vor zu gehen.«
    »Ja, das stimmt. Aber Ermina - das ist meine Schwester - muß immer ihren Willen durchsetzen. Ich bin viel vernünftiger als sie! Wenn sie nur auf mich gehört hätte, wären wir nie getrennt worden, und dann wären wir jetzt auch alle sicher in Shrewsbury. Ich wollte mit Bruder Elyas nach Bromfield gehen - kennt Ihr eigentlich Bruder Elyas? - und auch Schwester Hilaria war dafür, nur nicht Ermina. Sie hatte andere Pläne. Es ist alles ihre Schuld!«
    Daß das stimmte, ließ sich inzwischen nicht bestreiten, dachte Bruder Cadfael bekümmert und drückte diesen unschuldigen Richter, der warm und vertrauensvoll in seinem Arm lag, an sich. Aber gewiß verdienen unsere kleinen Fehler keine solch grausame Strafe. Ohne Zeit, noch einmal alles zu überdenken, zu bereuen, ohne Gelegenheit, Fehler wiedergutzumachen. Jugend hatte für eine Unbedachtsamkeit mit dem Tod büßen müssen, wo Jugend doch Gelegenheit gegeben werden sollte, auf dem Weg zu Reife und Vernunft törichte Fehler zu begehen.
    Sie gelangten an die gute, befahrene Straße zwischen Ludlow und Bromfield. »Gott sei gedankt!« rief Cadfael aus, als er die Fackeln des Torhauses erblickte - gelbe, irdische Sterne, die ihr Licht durch den dünnen, aber dichter werdenden Vorhang aus fallenden Schneeflocken warfen. »Wir sind da!«
    Als sie durch das Tor ritten, bot der große Hof ihnen das unerwartete Bild hektischer Betriebsamkeit. In den Schnee waren von Hufen verschlungene Muster getreten worden, und bei den Stallungen waren zwei oder drei Burschen, die gewiß nicht zum Kloster gehörten, damit beschäftigt, Pferde abzureiben und in ihre Ställe zu führen. Neben dem Eingang zur Gästehalle stand Prior Leonard in ein ernstes Gespräch mit einem mittelgroßen, drahtigen jungen Mann vertieft, der noch Reiseumhang und Kapuze trug. Sein Rücken war dem Hof zugewandt, aber Cadfael kannte diesen Rücken inzwischen sehr gut. Hugh Beringar war persönlich erschienen, um die ersten Nachrichten über die verschwundenen Hugonins nachzuprüfen und hatte anscheinend zwei oder drei weitere Offiziere mitgebracht.
    Sein Gehör war so scharf wie immer. Er wandte sich den Ankommenden zu und kam ihnen mit großen Schritten entgegen noch bevor das Pferd zum Stehen gekommen war.
    Der Prior folgte ihm. Er war ungeduldig und hoffnungsvoll: hier waren zwei zurückgekehrt, wo nur einer ausgeritten war.
    Als sie vor ihm standen, war Cadfael bereits abgestiegen, und

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