Die Jungfrau Im Eis
er einige Meilen entfernt in Sicherheit, bei freundlich gesinnten Leuten, zurückgelassen hatte. Er war zunächst zu erschüttert und verwirrt, um die Bedeutung dessen, was er gesehen hatte, ermessen zu können, aber auf dem Weg zur Gästehalle traf es ihn wie ein Keulenschlag. Er blieb unvermittelt stehen, tat einen großen Schluchzer und brach zu seiner, wenn auch niem and anderes Verwunderung in Tränen aus. Prior Leonard wollte sich wie eine besorgte Glucke über ihn beugen, aber Bruder Cadfael schlug ihm aufmunternd auf die Schulter und sagte nüchtern:
»Fasse dich, mein Sohn, denn wir werden dich bald brauchen.
Wir müssen einen Übeltäter fangen und ein Unrecht rächen, und wer könnte uns besser geradewegs zu dem Ort führen, an dem du Schwester Hilaria zurückgelassen hast, als du? Wo sonst sollen wir beginnen?«
Yves' Ausbruch war ebenso schnell vorbei wie er begonnen hatte. Hastig wischte er mit dem Ärmel die Tränen von seinen Wangen und sah Hugh Beringar an, um zu erforschen, was in dessen Gesicht stand. Bei ihm lag schließlich die Befehlsgewalt. Die Aufgabe der Klosterbrüder war es, Schutz zu gewähren, Rat zu erteilen und Gebete zu sprechen - Recht und Gesetz jedoch lagen in den Händen des Sheriffs. Mit Hierarchien kannte Yves sich aus. Schließlich war er nicht umsonst der Sohn eines Barons.
»Das stimmt. Ich kann Euch auf dem kürzesten Weg von Foxwood zu John Druels Hof führen. Er liegt über dem Dorf Cleeton.« Eifrig zupfte er an Hugh Beringars Ärmel. Er wußte, daß es besser war zu bitten, als zu fordern. »Darf ich mitkommen und Euch den Weg zeigen?«
»Ja, du darfst, wenn du in unserer Nähe bleibst und tust, was man dir sagt.« Hugh hatte sich bereits entschieden, dafür hatte Cadfael gesorgt. Es war weit besser für den Jungen, mit den Männern auszureiten und etwas zu tun, als allein zurückzubleiben und sich Vorwürfe zu machen. »Wir werden ein Pony für dich finden. Also lauf, hol deinen Umhang und komm dann zu den Ställen.«
Beflügelt von dem Gedanken, etwas Nützliches tun zu können, rannte Yves davon. Gedankenvoll sah Beringar ihm nach. »Bitte geht mit ihm, ehrwürdiger Vater, und sorgt dafür, daß er etwas zu essen mitnimmt, denn es wird ein langer Tag werden, und bevor die Nacht hereinbricht wird er hungrig sein, ganz gleich wie viel er vor einer halben Stunde noch zu Mittag gegessen hat.« Und als sie ihre Schritte den Ställen zuwandten, sagte er zu Cadfael: »Ihr werdet tun, was Ihr Euch in den Kopf gesetzt habt, das weiß ich, und ich bin immer froh, Euch bei mir zu haben, sofern es die Euch Anvertrauten, ob lebend oder tot, erlauben. Aber Ihr habt in den letzten Tagen viel reiten müssen...«
»... für einen Mann meines Alters«, fiel Cadfael ihm ins Wort.»Das habe ich nicht gesagt! Obwohl ich bezweifeln möchte, daß ein Mann Eures Alters es mit mir aufnehmen kann.
Aber was ist mit Bruder Elyas?«
»Er braucht mich jetzt nicht mehr so dringend. Ich muß nur noch ein-oder zweimal am Tag nach ihm sehen und dafür sorgen, daß alles gut verheilt und er keinen Rückfall erleidet.
Die Genesung seines Körpers macht gute Fortschritte. Und was sein fehlendes Erinnerungsvermögen anbelangt, so kann ich auch nichts daran ändern, indem ich hier bleibe. Es wird eines Tages von alleine wiederkommen, oder er wird aufhören, sich darüber Sorgen zu machen. Man kümmert sich gut um ihn. Sie hatte nicht dieses Glück!« sagte er traurig.
»Wie konntet Ihr wissen«, fragte Hugh, »daß es sich nicht um die Schwester des Jungen handelte?«
»Zuerst brachte mich das kurze Haar darauf. Vor einem Monat hatte sie Worcester verlassen. In dieser Zeit konnte es nachwachsen. Warum sollte das andere Mädchen sich die Haare abschneiden? Und dann die Farbe: Herward sagte, Erminas Haare und Augen seien fast schwarz, jedenfalls von dunklerem Braun als die ihres Bruders. Bei dieser Frau ist das nicht der Fall. Und ich erinnere mich, daß sie sagten, auch die Nonne sei jung, nicht älter als fünfundzwanzig oder so. Nein, ich war sicher, daß er nicht das Schlimmste zu befürchten hatte. Jedenfalls bis jetzt!« fügte er nüchtern hinzu. »Nun müssen wir sie finden und dafür sorgen, daß er nie wieder ein Leichentuch von einem anderen Gesicht zurückschlagen muß, das er kennt. Ich habe dieselben Verpflichtungen wie Ihr, und ich werde Euch begleiten.«
Damit hatte Hugh Beringar gerechnet. »Dann zieht Euch Eure Stiefel an und macht Euch fertig. Inzwischen werde ich Euch eines
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