Die Jungfrau Im Eis
arme Bauern - das glaube ich nicht. Aber woher mögen sie gekommen sein?
Auf demselben Weg wie wir oder auf eigenen Pfaden, von dem Berg dort oben? Wenn es nicht mehr als zehn waren, dann hatten sie es wohl nur auf einzelne Höfe abgesehen, und das Dorf war wahrscheinlich zu stark für sie.«
»Bei der Hürde ist ein Schaf geschlachtet worden«, berichtete sein Unteroffizier, der die andere Seite der Mulde abgesucht hatte. »Auf dem Hang dort gibt es einen Querpfad.
Auf dem könnten sie gekommen sein, wenn sie Cleeton umgehen und ein weniger gut verteidigtes Haus überfallen wollten.«
»Dann könnte Druel mit seiner Familie in der Richtung des Dorfes geflohen sein.« Hugh dachte nach. Stirnrunzelnd betrachtete er die Schneewehen, die alle Spuren von Menschen und Tieren überdeckt hatten. »Wenn die Hunde schon beim Diebstahl der Schafe angeschlagen haben, hatten sie vielleicht genug Zeit. Wir wollen wenigstens gehen und im Dorf nachfragen, ob sie von der Sache etwas wissen. Vielleicht sind auch alle Bewohner dieses Hofes noch am Leben«, sagte er und klopfte Yves aufmunternd auf die Schulter, »wenn sie auch all ihr Hab und Gut verloren haben.« »Aber Schwester Hilaria ist tot«, sagte Yves. In seinen Augen war er für ihren Tod verantwortlich, und das lastete schwer auf ihm. »Wenn sie noch rechtzeitig fliehen konnten, warum haben sie dann nicht auch Schwester Hilaria gerettet?«
»Das kannst du sie fragen, wenn wir sie, mit Gottes Hilfe, gefunden haben. Ich habe Schwester Hilaria nicht vergessen.
Komm jetzt - hier haben wir alles gesehen, was es zu sehen gibt.«
»Noch eine Kleinigkeit, Yves«, sagte Cadfael. »Als du in der Nacht die Pferde hörtest und aus dem Haus ranntest, um deine Schwester zu verfolgen, in welche Richtung sind sie da geritten?«
Yves drehte sich um und betrachtete die kläglichen Überreste des Hauses, das er damals verlassen hatte. »Nach rechts, dort hinter dem Haus vorbei. Dort ist ein kleiner Bach, vor ein paar Tagen war er noch nicht zugefroren - sie sind an ihm entlang den Hang hinaufgeritten. Aber nicht zur Spitze des Berges, sondern im Bogen um seine Seite herum.«
»Sehr gut! In dieser Richtung werden wir es also versuchen - allerdings nicht heute. Ich bin fertig, Hugh, wir können gehen.«
Sie saßen auf, ließen Trümmer und Zerstörung hinter sich und ritten den Weg zurück, den sie gekommen waren, durch die Bäume, über den Kamm und dann hinunter nach Cleeton.
Es war ein rauhes Land, schwierig zu bewirtschaften. Die Felder brachten nur magere Ernten, aber die Gegend eignete sich gut für die Zucht jener behenden Hochlandschafe, die zwar nur mageres Fleisch, aber ausgezeichnete Wolle lieferten. An der dem Berg zugewandten Seite der Siedlung stand eine roh behauene, aber solide Palisade und hinter ihr hielt jemand Wache, denn plötzlich ertönte ein gellender, durchdringender Pfiff. Als sie das Dorf erreichten, wurden sie von drei oder vier stämmigen Männern erwartet. Hugh lächelte. Sofern sie nicht in großer Zahl und gut bewaffnet auftraten, taten Räuber gut daran, um Cleeton einen Bogen zu machen.
Er entbot ihnen den Gruß und sagte, wer er sei. Es war zu bezweifeln, daß Menschen in so abgelegenen Gegenden sich viel vom Schutz von König oder Kaiserin versprachen, aber vom Sheriff der Grafschaft konnten sie sich immerhin Unterstützung im Kampf ums Überleben erhoffen. Sie holten den Gemeindevorsteher herbei und antworteten bereitwillig auf alle Fragen. Ja, sie wüßten, daß John Druels Hof niedergebrannt worden sei. Ja, John sei hier in Sicherheit, die Dörfler kümmerten sich um ihn, er habe sein Leben gerettet, wenn er auch alles andere verloren habe. Auch seine Frau und sein Sohn seien in Sicherheit und der Schafhirt, der für ihn arbeitete, ebenfalls. Ein langbeiniger Junge rannte eifrig los, um John Druel zu holen, damit er selber die Fragen beantworten konnte.
Beim Anblick des schlanken, sehnigen Mannes sprang Yves von seinem Pferd und lief ihm entgegen, als könne er seinen Augen nicht trauen. Den Arm um die Schultern des Jungen gelegt, trat der Mann vor sie.
»Der Junge sagt, Ihr seid dort oben gewesen, Herr... wo mein Haus stand. Gott weiß, wie dankbar ich für die Barmherzigkeit dieser Menschen bin. Sie lassen uns nicht hungern, jetzt, wo wir all unser Hab und Gut verloren haben - aber was soll nun aus uns werden? Wir haben hart gearbeitet, und dann hat man uns in einer Nacht alles genommen, und das Dach über dem Kopf hat man uns angesteckt!
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