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Die Jungfrau Im Eis

Die Jungfrau Im Eis

Titel: Die Jungfrau Im Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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können und für eine kurze Zeit im Frieden mit sich selbst. Sein Atem ging ruhig und regelmäßig. Der Junge fühlte mehr, als daß er hörte, wie gut Elyas diese Nacht überstanden hatte, in der er hätte umkommen können. Er klammerte sich an das Leben, auch wenn es ihm Qual bereitete.
    Dennoch war Yves sicher, daß er etwas gehört hatte: Menschen. Der Wind war es nicht gewesen, denn der hatte sich gelegt, aber als er jetzt völlig regungslos dasaß und angestrengt lauschte, herrschte ringsum nur absolute Stille.
    Nichts ist stiller als eine tiefverschneite Landschaft, bis Menschen den Bann brechen. Und da war es wieder, kaum hörbar und weit entfernt, aber keine Einbildung: ein leises Stimmengemurmel, nur ein Fetzen, und gleich wieder vorbei.
    Und dann, einige Augenblicke später, das schwache Klirren von Metall, vielleicht das Zaumzeug eines Pferdes. Steif und vorsichtig um den Schlafenden nicht zu wecken, stand Yves auf und tastete sich den Weg zur Tür. Draußen herrschte noch jenes graue Zwielicht, das der Morgendämmerung vorangeht, aber das vom Schnee reflektierte Licht gab einen gespenstischen Schein. Die Nacht neigte sich ihrem Ende zu - es waren Leute unterwegs. Leute mit Pferden! Yves schloß die Tür der Hütte, verriegelte sie jedoch nicht und begann, sich so schnell wie möglich durch den tiefen Schnee zu kämpfen, damit die Männer nicht vorbeigezogen waren, bevor er sie um Hilfe bitten konnte.
    Irgendwo am Fuß des Hanges, hinter einem Dickicht verschneiter Büsche und einer Gruppe von Bäumen, die gebeugt und weiß dastanden wie müde alte Männer, lachte jemand, und wieder ertönte das Klingeln eines Pferdegeschirrs.
    Die Wanderer kamen, wie er gehofft hatte, aus der Richtung von Ludlow und Bromfield. Voller Angst, sie könnten vorbeiziehen und die Hütte gar nicht bemerken, stürzte Yves stolpernd durch den knietiefen Schnee den Hang hinunter, stieß auf eine Bodenerhebung, die der Wind fast freigefegt hatte und begann zu rennen. Er umging das Dickicht, arbeitete sich durch einige Büsche und tastete sich mit ausgestreckten Händen durch die Dunkelheit unter den dicht beieinanderstehenden Bäumen. Die Stimmen kamen näher, laut und ungedämpft. Die einzelnen Worte konnte er noch immer nicht verstehen, aber ihr Klang ließ ihn Hoffnung schöpfen. Jemand begann zu singen, ein anderer machte eine laute Bemerkung und dann ertönte Gelächter. Darüber war Yves ungehalten, ja fast empört. Wenn diese Männer zu einem Suchtrupp gehörten, so klangen sie nicht allzu eifrig. Aber selbst wenn es nicht, wie er angenommen hatte, Hugh Beringars Männer waren - was machte das schon? Jedenfalls waren es Männer, und sie konnten ihm helfen.
    Seine Augen hatten sich inzwischen an das gespenstische Zwielicht gewöhnt und als er aus dem Gebüsch trat, gewahrte er zwischen den Bäumen schattenhafte Bewegungen. Als er auf die weit auseinandergezogene Kette der Männer zurannte, sah er, daß es mehr waren, als er angenommen hatte - mindestens zehn oder zwölf. Drei Pferde und vier hochbeladene Lastponys stießen kleine Atemwölkchen aus.
    Selbst in diesem schlechten Licht erkannte er die Umrisse von Schwertern, Äxten und Bögen. Es war vor Morgengrauen, und diese Männer waren schwer bewaffnet, aber sie marschierten nicht diszipliniert wie Hugh Beringars Bewaffnete. Sie sahen verwildert und ausgelassen aus
    - und sie waren rußverschmiert. Ein leichter aber unverkennbarer Brandgeruch ging von ihnen aus, und die Lastponys waren mit Getreidesäcken, Weinschläuchen, Töpfen, Kleiderbündeln und zwei geschlachteten Schafen bepackt.
    Sein Herz tat einen Sprung. Hastig versuchte er wieder in Deckung zu gehen, aber man hatte ihn schon bemerkt. Einer der Unberittenen stieß eine Art Jagdruf aus und rannte zu den Bäumen, um ihm den Rückweg abzuschneiden. Ein anderer antwortete und jetzt waren es schon zwei, die ihm mit ausgestreckten Armen und breitem Grinsen den Fluchtweg versperrten. Einen Augenblick später war er von einem halben Dutzend Männer umzingelt. Er versuchte, den Ring zu durchbrechen und in die entgegengesetzte Richtung der Hütte zu fliehen, denn instinktiv wußte er, daß er, was immer auch mit ihm geschah, den dort oben schlafenden Bruder Elyas auf keinen Fall verraten durfte. Aber mit einer fast trägen Bewegung wurde ein langer Arm ausgestreckt, eine Hand packte ihn an der Kapuzenspitze und einem Büschel Haare und schleppte ihn schmerzhaft zum Pfad.
    »Sieh mal einer an!« krächzte der Mann und

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