Die Jungfrau Im Eis
Stille hing wie eine Drohung über ihnen. Sie begriff sehr schnell. Er brauchte nur wenige Sekunden, um sich seine Worte zurechtzulegen, aber das war schon zu lang. Sie hatte sich aufgesetzt und starrte ihn an. In ihren Augen lag eine dunkle Ahnung. »Was verheimlicht Ihr mir?«
Er konnte nicht mehr zurück - sie mußte die Wahrheit erfahren. »Etwas, das Ihr nicht gern hören werdet und das mir schwerfällt, Euch zu sagen«, sagte Bruder Cadfael schlicht. »In der Nacht, in der die Räuber Druels Hof niederbrannten, hatten sie schon ein einsam gelegenes Gehöft, kaum zwei Meilen von Ludlow entfernt, heimgesucht. Es scheint, als wären sie zwischen diesen beiden Überfällen, auf dem Weg zu ihrem Unterschlupf, durch eine grausame Fügung des Schicksals den beiden begegnet, nach denen Ihr eben gefragt habt. Als sie Druels Hof verließen war es bereits Abend. Es war eine schlimme Nacht, mit starkem Wind und schwerem Schneefall.
Möglicherweise hatten sie sich verirrt. Vielleicht waren sie auch auf der Suche nach einem Unterschlupf, in dem sie warten konnten, bis der Sturm sich gelegt hatte. So fielen sie Dieben und Mördern in die Hände.«
Ihr Gesicht war wie versteinert. Verzweifelt grub sie ihre Finger in die Armlehnen ihres Stuhls, so daß die Knöchel weiß wurden. Kaum hörbar flüsterte sie: »Tot?«
»Bruder Elyas war kaum noch am Leben, als man ihn hierher brachte. Gestern abend hielt Euer Bruder Wache an seinem Krankenlager, bevor sie beide, aus Gründen, die ich nicht einmal erraten kann, in die Nacht verschwanden. Schwester Hilaria fanden wir tot.«
Einen langen Augenblick sagte sie nichts - sie weinte nicht, sie schrie nicht, sie begehrte nicht auf. Sie barg allen Kummer, alle Schuld, alle ohnmächtige Wut in sich und wollte nichts davon zeigen. Nach einer Weile fragte sie mit leiser, tonloser Stimme: »Wo ist sie?«
»Wir haben sie hier in der Kirche aufgebahrt, bis sie beerdigt werden kann. Die Kälte hat den Boden so hart werden lassen, daß man kein Grab ausheben kann. Vielleicht möchten auch die Schwestern in Worcester, daß sie dorthin überführt wird, sobald dies möglich ist. Bis dahin wird der Prior eine Gruft in der Kirche für sie zur Verfügung stellen.«
»Erzählt mir, was mit ihr geschehen ist«, bat Ermina leise aber entschlossen. »Es ist besser, alles zu wissen, als Vorstellungen ausgeliefert zu sein.«
Mit einfachen, klaren Worten schilderte er ihr, wie die Nonne ums Leben gekommen war. Als er geendet hatte, erwachte sie aus der Reglosigkeit, in der sie verharrt hatte und fragte: »Wollt Ihr mich zu ihr führen? Ich würde sie gern noch einmal sehen.«
Wortlos und ohne Zögern stand er auf und ging voraus. Sie war dankbar für die Bereitwilligkeit, mit der er ihre Bitte erfüllte und er wußte, daß er in ihrer Achtung gestiegen war. Dennoch würde sie sich von dem, was sie für ihre Pflicht hielt, nicht zurückhalten oder abschirmen lassen. In der Kapelle, in der Schwester Hilaria in ihrem Sarg lag, den die Mönche in ihrer Werkstatt gebaut und mit Blei ausgekleidet hatten, war es fast ebenso kalt wie draußen und der Leichnam hatte nichts von seiner heiteren Schönheit verloren. Der Sarg war noch nicht geschlossen. Ermina stand lange reglos davor und betrachtete das Gesicht der Toten; dann bedeckte sie es wieder mit dem weißen Leintuch.
»Ich habe sie sehr geliebt«, sagte sie, »und ich habe sie getötet. Ihr Tod ist meine Schuld.«
»Nein, nichts dergleichen«, sagte Cadfael mit Bestimmtheit.
»Ihr dürft Euch nicht mehr aufladen, als Euch zusteht. Was Ihr selbst getan habt, das dürft Ihr bereuen, beichten und büßen, auf daß Eure Seele gereinigt werde, aber Ihr dürft nicht die Schuld eines anderen auf Euch nehmen oder Gottes Recht anzweifeln, der oberste Richter zu sein. Dies war das Werk eines Mannes, eines Schänders und Mörders und er, nur er wird sich dafür zu rechtfertigen haben. Durch welche Taten anderer Menschen auch immer unsere Schwester seinen Weg gekreuzt hat er gab seinen Händen den Befehl, sie zu mißhandeln und zu töten, er und kein anderer! An ihm soll ihr Tod gesühnt werden!«
Zum erstenmal überkam sie ein Zittern und als sie sprechen wollte, hatte sie ihre Stimme nicht unter Kontrolle und mußte erst nach Fassung ringen.
»Aber wenn ich mir diese törichte Hochzeit nicht in den Kopf gesetzt hätte, wenn ich mit Bruder Elyas direkt hier nach Bromfield gekommen wäre, dann könnte sie jetzt noch leben...«
»Wissen wir das? Hättet Ihr
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