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Die Jungfrau Im Eis

Die Jungfrau Im Eis

Titel: Die Jungfrau Im Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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der Willkür der anderen Räuber ausgeliefert. Zu keinem Zeitpunkt hatte er die geringste Chance zur Flucht. So hoch schätzten sie ihn - oder die Befehle ihres Anführers - ein, daß immer drei von ihnen in seiner unmittelbaren Nähe waren. Mit seinem eigenen Gürtel banden sie ihm die Arme knapp über dem Ellenbogen an den Körper und zogen den Riemen, obwohl er an der Taille gut dreißig Zentimeter zu lang war, so fest an, daß es schmerzte.
    Seine Hände wurden, Handflächen zusammengelegt, mit einer kurzen Schnur gefesselt, und schließlich knüpften sie noch eine Schlinge in ein langes Seil, legten sie ihm um den Hals und befestigten das andere Ende am Packsattel des hintersten Lastponys. Die Schlinge würde sich zuziehen, wenn er nicht Schritt hielt, aber wenn er sich beeilte, konnte er die gefesselten Hände gerade so hoch heben, daß er das Seil ergreifen und den Zug auf die Schlinge mäßigen konnte, damit er noch Luft bekam. Er konnte jedoch nicht hoch genug reichen, um die Hand in die Schlinge selbst legen und am Zuziehen hindern zu können. Er war gewitzt genug um zu wissen, daß sie, sollte er hinfallen, anhalten und ihn wieder auf die Beine stellen würden. Ihnen war befohlen worden, ihn dorthin zu bringen, wo ihr Anführer hinritt, und zwar lebend und in nicht allzu schlechter Verfassung. Aber wenn sie ihn auch nicht töten durften, so machte es ihnen doch Spaß die erteilte Erlaubnis, ihr Spiel mit ihm zu treiben, voll auszuschöpfen.
    Als sie ihm die Schlinge umlegten, hatte er versucht, durch Schulterbewegungen eine Falte seines Umhangs zwischen sie und seinen Hals zu schieben, aber einer der Räuber hatte nur laut gelacht, ihn am Ohr gezogen und den Stoff wieder glatt gestrichen. In diesem Moment war Yves eingefallen, daß die Verschlußspange des Umhangs unter dem Kragen verborgen war. Sie war sehr alt, eine sächsische Arbeit, mit einer langen Nadel, die einzige Waffe, die er jetzt noch besaß, und sie hatten sie nicht entdeckt.
    »Nun flieg, Vögelchen!« sagte der Mann, der ihn zuerst gepackt hatte und bog sich vor Lachen. »Aber vergiß nicht, daß du angebunden bist. Nur zur Sicherheit, damit du uns nicht davonfliegst.« Und damit ging er an die Spitze des Zuges, um dem Anführer zu folgen. Müde, ängstlich und wütend blieb Yves zitternd und benommen stehen, so daß der erste Ruck an der Leine ihm fast den Hals zuschnürte. Keuchend sprang er vorwärts und umklammerte das Seil, um wieder zu Atem zu kommen. Wildes Gelächter belohnte seine Bemühungen.
    Bald aber fand er heraus, daß ihre Späße nicht so gefährlich waren, wie er gedacht hatte. Ihre schwere Beute zwang sie nämlich, so langsam zu marschieren, daß er keine großen Schwierigkeiten hatte, Schritt zu halten. Sie waren schwer beladen, er dagegen brauchte nichts zu tragen und konnte sich, als er die letzten Reste seiner Müdigkeit abgeschüttelt hatte, schneller bewegen als sie. Während der ersten Minuten bemühte er sich, ihnen Gelegenheit zum Lachen zu geben, indem er zurückblieb und sich dann wieder beeilte, damit sich die Schlinge an seinem Hals nicht zuzog. Dadurch machte er sich mit dem Pony, an das er angebunden war, vertraut. Die Ladung des Tieres bestand aus zwei schweren Getreidesäcken, die zu beiden Seiten herabhingen, zwei ebensogroßen Schläuchen aus Ziegenhaut, die sicher Wein enthielten und hinter den Säcken befestigt waren, einem Kleiderbündel und einigen Töpfen, die obenauf geschnürt waren. Wenn er dicht aufschloß, berührte seine Wange fast das Haar des Ziegenschlauches auf seiner Seite. Er war prall gefüllt und roch nach der Flüssigkeit, die er enthielt. Außerdem fand er sich, wenn er so dicht bei dem Pony ging, am Ende des langsamen Zuges und war vor den Männern weiter vorn durch die Last verborgen. Und obwohl sie den Pfad zu gut kannten, um von den Schneeverwehungen allzusehr aufgehalten zu werden, bereitete ihnen das Vorwärtskommen dennoch soviel Mühe, daß sie bald vergaßen, hinter sich zu sehen.
    Im Schutz der schwankenden Last hob Yves seine gefesselten Hände so hoch er konnte und tastete unter dem Kragen seines Umhangs nach der Spange. Niemand konnte ihn sehen. Er schmiegte sich eng an das Pony, das stetig, geduldig ausschritt. Schließlich berührten seine zitternden Finger das Metall, und er versuchte, den Sicherungsring der Nadel zu lösen, damit er sie aus dem Stoff ziehen konnte. Seine grausam fest gebundenen Arme schmerzten, seine Finger wurden langsam taub. Verbissen setzte er

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