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Die Jungfrau Im Eis

Die Jungfrau Im Eis

Titel: Die Jungfrau Im Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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der nur von der Erinnerung an den Jungen beherrscht wurde, wandte sich Bruder Elyas gen Osten und folgte dem Pfad, auf dem die unbekannte Reisegesellschaft gegangen war. Die Furche, die sich durch die öde Wildnis, durch Schneewehen und verschneite Mulden zog, war leicht zu verfolgen. Dieser sich schlängelnde Weg war sicher älter als alle anderen in dieser Gegend. Er war so angelegt, daß der Aufstieg leicht und auch für Pferde möglich war. In einem weiten Bogen wand er sich den Berg hinauf. Nach etwa dreihundert Schritten bemerkte Bruder Elyas den ersten roten Fleck im Schnee.
    Jemand hatte geblutet. Zwar nur wenig, aber danach kamen weitere rote Tröpfchen, und nach einigen Schritten fand er den nächsten roten Fleck. Vom langsam aufsteigenden Nebel verhangen ging die Sonne auf. Auf der Oberfläche des Schnees war die rote Flüssigkeit gefroren. Selbst die kraftlose Mittagssonne würde sie nicht auftauen, aber der Wind würde vielleicht Schnee darüberwehen. Bruder Elyas folgte dem Weg, auf dem jemand Blut vergossen hatte. Blutvergießen konnte durch Blut gesühnt werden. Wenn jemand dem Jungen etwas zugefügt hatte, dann mochte ein Mann, der seine Seele bereits der Verzweiflung und dem Tod überantwortet hatte, doch noch zu etwas nütze sein.
    Die nur mit Sandalen bekleideten Füße stapften durch den Schnee. Unempfindlich gegen Kälte, Schmerz und Furcht machte Bruder Elyas sich auf die Suche nach Yves.

10. Kapitel
    Nach dem Hochamt trat Bruder Cadfael mit Prior Leonard aus der Kirche in die Sonne, die selbst jetzt, um die Mittagszeit, nur blaß und kraftlos schien. Die vom Wind aufgetürmten Schneemassen glitzerten. Einige Pächter der Priorei hatten sich gemeldet, um bei der Suche nach den beiden Vermißten zu helfen, solange das Tageslicht noch ausreichte und kein Schnee fiel. Prior Leonard deutete auf einen von ihnen, einen großen, breitschultrigen Burschen in mittleren Jahren mit roten Haaren, in denen sich die ersten Spuren von Grau zeigten. Er hatte das wettergegerbte Gesicht und die klaren blauen Augen eines Bergbewohners.
    »Das ist Reyner Dutton. Er hat Bruder Elyas zu uns gebracht, als er ihn verletzt am Straßenrand fand. Was wird er nun von uns denken, da wir doch nicht in der Lage waren, ordentlich für diesen unglücklichen Mann zu sorgen.«
    »Euch trifft dabei keine Schuld«, sagte Cadfael niedergeschlagen. »Wenn irgend jemand einen Fehler gemacht hat, dann war ich es.« Nachdenklich betrachtete er Reyners mächtige Erscheinung. »Wißt Ihr, Leonard, ich habe mir einige Gedanken über diese Flucht gemacht. Wer von uns hätte das nicht! Es sieht so aus, als habe Elyas, nachdem irgend etwas ihn aufgerüttelt hat, mit großer Entschlossenheit gehandelt. Er ist nicht einfach aus dem Bett gestiegen und herumgeirrt. In kaum einer Viertelstunde waren sie verschwunden. Und offensichtlich konnte ihn der Junge nicht davon abhalten - er hatte sich etwas in den Kopf gesetzt und war fest entschlossen es auszuführen. Ja, er verfolgte eine bestimmte Absicht.
    Vielleicht war es etwas völlig Unsinniges, aber ihm war es wichtig. Könnte es nicht sein, daß er sich plötzlich an den Überfall erinnerte, bei dem er fast getötet worden wäre und sich zu dem Ort aufmachte, an dem er stattfand? Das war doch das Letzte, was er wußte, bevor man ihm das Gedächtnis und beinahe auch das Leben raubte. Vielleicht wollte er in seiner Umnachtung den Faden dort wieder aufnehmen.«
    Prior Leonard wiegte zweifelnd den Kopf, gab dann aber doch zu: »Es könnte sein. Aber wäre es nicht möglich, daß er sich an den Auftrag erinnerte, mit dem er von Pershore hierhergeschickt wurde und sich jetzt auf den Weg dorthin gemacht hat? Ein Mann in seinem Zustand könnte so handeln.«
    »Dabei fällt mir ein«, sagte Cadfael ernst, »daß ich die Stelle, wo Elyas überfallen wurde, nie gesehen habe. Aber sie kann nicht weit von dem Ort entfernt sein, wo man unsere Schwester umgebracht hat. Und das wiederum gibt mir zu denken.« Aber er verschwieg, was er so sonderbar daran fand, denn Leonard war fast noch ein Kind gewesen, als er ins Kloster eintrat und auch jetzt noch umgab ihn eine heitere, unschuldige Zufriedenheit. Es bestand keine Notwendigkeit, ihn mit der Überlegung zu beunruhigen, daß in der Nacht, in der Hilaria getötet worden war, ein ebenso starker Schneesturm getobt hatte wie in der vergangenen Nacht, und daß sich selbst Lust unter diesen Umständen nur im Schutz eines, wenn auch noch so bescheidenen Daches Bahn

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