Die Jungfrau Im Eis
bricht. In der Nähe ihres eisigen Grabes hatte Bruder Cadfael keine Hütte bemerkt. Ein Bett aus Schnee und Eis und eine Decke aus Sturmwind waren nicht gerade die einladendsten Umstände für eine Schändung.
»Eigentlich wollte ich nach dem Essen mit den anderen gehen«, sagte Cadfael, »aber wie wäre es, wenn Reyner mich zu der Stelle führen würde, wo er Bruder Elyas gefunden hat?
Man könnte ebenso gut dort wie irgendwo anders mit der Suche beginnen.«
»Das stimmt«, nickte der Prior, »wenn Ihr sicher seid, daß das Mädchen hierbleibt und nichts auf eigene Faust unternimmt...«
»Sie wird hierbleiben«, sagte Cadfael zuversichtlich, »und Euch keine Schwierigkeiten bereiten.« Allerdings nicht, weil er sie darum gebeten hatte. Sie würde gehorsam warten, weil ihr strahlender junger Held, ein gewisser Olivier, es so wollte.
»Kommt, wir wollen den Mann fragen, ob er mich führen will.«
Der Prior holte den Pächter aus der Gruppe der anderen Männer, bevor sie zum Torhaus hinausmarschierten und stellte ihn Bruder Cadfael vor. Offenbar hatte Reyner ein gutes Verhältnis zu seinem Herrn und war mit jedem Plan einverstanden, den Leonard vorschlug.
»Ich führe Euch gern dorthin, Bruder. Der arme Mann - nun ist er schon wieder dort draußen in der Wildnis, wo er doch schon einmal fast erfroren wäre. Und dabei war er schon auf dem Weg der Besserung. Es muß ihn eine Verrücktheit überkommen haben, daß er in so einer Nacht hinauswollte.«
»Solltet Ihr nicht besser zwei von unseren Mauleseln nehmen?« fragte der Prior. »Die Stelle ist gewiß recht nah, aber wer weiß, wie weit Ihr werdet laufen müssen, wenn Ihr eine Spur findet? Und seit Ihr hergekommen seid, Cadfael, hat Euer Pferd nicht viel im Stall gestanden. Unsere Tiere sind ausgeruht und ausdauernd.« Das war ein Angebot, das man besser nicht ausschlug. Ob beritten oder zu Fuß - sie würden nur langsam vorankommen. Dann also besser beritten. Cadfael ging ins Haus, um schnell noch etwas zu essen, kehrte zurück und half Reyner beim Satteln der Maultiere. Sie hielten sich in östlicher Richtung, auf der mittlerweile bereits gut begehbaren Straße.
Das Tageslicht würde vielleicht noch vier Stunden vorhalten, danach mußten sie mit dem Einbruch der Dunkelheit und möglicherweise auch mit erneuten Schneefällen rechnen. Sie ließen Ludlows rechts liegen und folgten weiter der Straße. Der Himmel vor ihnen hing schwer und grau, obwohl dort, wo sie jetzt waren, schwach die Sonne schien.
»Ihr habt ihn doch nicht am Rand der Landstraße gefunden?« fragte Cadfael, als Reyner keine Anstalten machte abzubiegen.
»Ganz in der Nähe der Straße, Bruder, nur ein Stück weiter nördlich. Wir kamen den Hang hinunter, unterhalb des lichten Waldes und stolperten geradezu über ihn. Er lag einfach nackt im Schnee. Ich würde es mir sehr zu Herzen nehmen«, sagte Reyner mit Nachdruck, »wenn wir ihn nun verlieren würden, nachdem er bis jetzt alles überstanden hat, das kann ich Euch sagen. Als wir ihn fanden, stand er mit einem Fuß im Grab.
Einen guten Mann vor dem Tod zu bewahren und diesen Teufeln, die ihn mit aller Gewalt umbringen wollten, eine Nase zu drehen, das hat mir gutgetan! Aber mit Gottes Hilfe werden wir ihn auch ein zweitesmal retten. Ich habe gehört, daß ein Junge mit ihm gegangen ist«, sagte Reyner und sah Cadfael mit seinen blauen Augen an. »Der Junge, der schon früher vermißt wurde. Jetzt wird er auch wieder gesucht. Das nenne ich anständig, wenn so ein Bursche, wo er den anderen schon nicht von einer Dummheit abhalten kann, sich wenigstens nicht abschütteln läßt, sondern bei ihm bleibt. Jeder Bauer in dieser Gegend sucht nach den beiden. - Wir sind jetzt fast da, Bruder.
Hier müssen wir links von der Straße herunter.«
Es war nicht mehr weit. Nur einige Minuten von der Straße entfernt war eine flache, von Büschen umstandene Mulde.
Etwas weiter oben am Hang, an ihrer Nordseite, standen zwei große Weißdornbüsche.
»Genau hier haben wir ihn gefunden«, sagte Reyner.
Der Weg hatte sich gelohnt. Cadfael sah sich vor einige Probleme gestellt. Ja, es paßte alles in das Bild, das er sich von jener Mondnacht gemacht hatte. Die Räuber waren auf dem Rückweg von ihrem ersten Überfall südlich der Straße gewesen und hatten sie, wie es schien, irgendwo hier überquert, um auf einem ihnen bekannten Pfad unbemerkt in die Wildnis um den Titterstone Clee aufzusteigen. Es war gut möglich, daß sie zufällig auf Bruder Elyas
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