Die Jungfrau Im Eis
war leicht erstaunt als er hörte, daß der zischende Flug des Pfeiles im Schnee hinter ihm endete. Anscheinend war er immer noch schneller als er gedacht hatte, zumindest wenn er um sein eigenes Leben und das vieler anderer rannte. Atemlos tauchte er in die Deckung der Bäume und stand Beringar gegenüber. An der Unruhe am Waldrand erkannte er, daß Hugh diese wenigen Minuten gut genutzt hatte, denn seine Männer hatten kampfbereit Aufstellung genommen und warteten nur auf seinen Befehl.
»Gebt das Signal zum Angriff!« keuchte Cadfael. »Der Lärm kommt von Yves. Er sagt, er hätte den Turm besetzt. Jemand hat sich zu ihm durchgeschlagen - weiß der Himmel, wie er das geschafft hat. Die einzige Gefahr ist jetzt, daß wir zu spät kommen.«
Es gab keinen weiteren Aufschub. Beringar eilte davon und schwang sich in den Sattel, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Er führte den linken Flügel und Josce de Dinan den rechten, und zusammen stürmten sie unter den Bäumen hervor und ritten auf das Tor von Alain le Gauchers Festung zu, während alle Fußsoldaten hinterherrannten, so schnell sie konnten. Zahlreiche Fackeln wurden entzündet, mit denen man die Nebengebäude in Brand stecken wollte.
Bruder Cadfael, den man so formlos zurückgelassen hatte, blieb noch eine Weile stehen, um wieder zu Atem zu kommen und erinnerte sich dann fast ärgerlich an die Tatsache, daß er dem Gebrauch von Waffen schon lange abgeschworen hatte.
Dennoch - kein Gelübde hinderte ihn daran, bewaffneten Männern unbewaffnet zu folgen. Als die Speerspitze des Angriffs das Tor erreichte und sich dagegen warf, begann Bruder Cadfael zielstrebig, über das verschneite Plateau zu marschieren, das jetzt von den Spuren vieler Hufe und vieler Füße gezeichnet war.
Trotz des Lärms, den er machte, hörte Yves den Angriff der Männer des Sheriffs und fühlte den Turm erzittern, als sie das Tor einrammten und die Querbalken splitternd zerbrachen. Der Hof hallte wider von den Kämpfen Mann gegen Mann, aber da konnte er nichts machen; doch hier bebten und ächzten die Bohlen zu seinen Füßen unter wütenden Axtschlägen, die von unten geführt wurden, und Olivier stand mit gezogenem Schwert und gespreizten Beinen auf der Leiter und blockierte die Falltür mit seinem Gewicht. Die Leiter hob sich bei jedem Schlag, aber solange sie auf der Falltür lag, konnte diese nicht geöffnet werden. Und selbst wenn man sie aufbrach, mußte als erstes eine Hand oder ein Kopf zum Vorschein kommen und sich Oliviers Schwert aussetzen, und in diesem Fall würde Olivier keine Gnade kennen. Angespannt stand er breitbeinig über dem Zugang, durch den der Feind kommen mußte. Immer wieder verlagerte er sein Gewicht, jederzeit bereit, mit seinem Schwert zuzustoßen, sobald sich die Gelegenheit dazu bot.
Yves ließ seinen schmerzenden Arm sinken und den Stahlhelm zwischen seinen Füßen davonrollen, aber dann überlegte er es sich anders, bückte sich und setzte ihn auf. Warum sollte man nicht jeden nur möglichen Schutz in Anspruch nehmen? Er vergaß auch nicht, sich unter die Kante der Brustwehr zu ducken, als er, nachdem er seine verkrampfte Hand ausgeschüttelt hatte, das Schwert nahm und zu Olivier eilte. Er stellte sich auf die Leiter, um das Gewicht, das auf der Falltür ruhte, zu vergrößern. Es zeigten sich schon Risse im Holz und oben wie unten flogen Splitter umher, aber noch gab es keine Stelle, durch die man ein Schwert hätte stoßen können.
»Sie werden es nicht schaffen«, sagte Olivier beruhigend.
»Hörst du das?« Alain le Gauchers mächtige Stimme dröhnte durch das dunkle Treppenhaus des Turms. »Er ruft seine Hunde zurück, sie werden unten noch dringender gebraucht.«
Noch einmal schlug die Axt zu, mit einem gewaltigen Hieb, der eine bereits gesplitterte Bohle durchdrang, so daß unter der Leiter plötzlich ein großes Stück der blitzenden Schneide zu sehen war. Aber damit war der Angriff auf die Turmplattform beendet. Der Mann, der den Schlag geführt hatte, konnte seine Axt nur unter Mühen aus dem Holz ziehen. Er fluchte, schlug aber nicht noch einmal zu. Sie hörten das Stampfen von Stiefeln auf der Treppe und dann war im Turm alles ruhig.
Unten im Hof herrschte Durcheinander aus Kampfgeschrei und Waffenlärm, aber hier oben, unter dem friedlichen, sternenübersäten Himmel, standen die beiden da und sahen sich an. Nun, da die unmittelbare Bedrohung abgewendet war, fiel plötzlich die Spannung von ihnen ab.
»Nicht, daß er seinen
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