Die Jungfrau Im Eis
Weg abgeschnitten haben. Sein Zögern brachte ihn und seine Freunde um alles, was sie bisher erreicht hatten, denn mehr als die Hälfte des Hofes war jetzt in Beringars Hand, die Überreste der Bande waren zu einem verbissen kämpfenden Haufen in der Nähe des Saals zusammengedrängt worden. Und während Yves seinen Feinden den Rücken kehrte und überlegte, ob er zurückrennen und seinem Freund helfen sollte, führte Alain le Gaucher einen wütenden Rundschlag gegen die Männer des Sheriffs, die ihn immer weiter zu den Stufen seiner eigenen Halle getrieben hatten und sprang rückwärts die breite, hölzerne Treppe hinauf.
Fast wären sie Rücken an Rücken zusammengestoßen. Yves wollte davonrennen, aber es war zu spät. Eine große Hand packte ihn am Haar und ein zorniges Triumphgefühl übertönte sogar das Kampfgetöse und das Krachen der zerbrechenden Balken. Im nächsten Augenblick hatte le Gaucher seinen Rücken an den Türstock gedrückt, um vor Angriffen von hinten sicher zu sein und hielt den Jungen an sich gepreßt. Er drückte ihm sein nacktes, bereits rot gefärbtes Schwert an die Kehle.
»Halt, keiner rührt sich! Legt die Waffen nieder und zieht ab!« brüllte er und seine Löwenmähne schimmerte und leuchtete im flackernden Schein des Feuers. »Zurück! Noch weiter! Macht Platz vor mir! Wenn irgendeiner auch nur seinen Bogen spannt, wird diese kleine Ratte sterben. Da habe ich also meine Freiheit! Also, Gefolgsmann des Königs, wo bist du? Was gibst du mir für sein Leben? Ich fordere ein frisches Pferd und freies Geleit, sonst schneide ich ihm die Kehle durch und ihr habt sein Leben auf dem Gewissen!« Hugh Beringar trat vor und sah le Gaucher gerade ins Gesicht. »Geht zurück«, sagte er ohne den Kopf zu wenden. »Tut was er sagt.«
Schritt für Schritt traten alle, Räuber wie Soldaten, zurück, so daß vor der Halle eine zertrampelte, blutbespritzte, freie Fläche entstand.
Auch Beringar machte Platz, hielt sich jedoch weiter vor ihnen. Was blieb ihm auch anderes übrig? Der Mann hielt den Kopf des Jungen an seine Brust gepreßt, die Schneide seines Schwertes ruhte auf Yves' Kehle. Eine falsche Bewegung und er mußte sterben. Ein paar Männer der Bande schlichen sich beiseite und auf das Tor zu, in der Hoffnung fliehen zu können, solange noch alle Augen auf die beiden dort oben auf der Treppe gerichtet waren. Die Wache am Tor würde sie aufhalten, aber wer sollte diesen rücksichtslosen, zu allem entschlossenen Verbrecher aufhalten? Alle wichen vor ihm zurück.
Nein, nicht alle! Eine seltsame Gestalt drängte sich durch die Menge der Männer, die sie erst bemerkten, als sie auf dem freien Platz vor ihnen stand. Sie ging humpelnd und schwankend, aber ohne innezuhalten, auf die Treppe zu. Es war ein großer, abgezehrter Mann in einer schwarzen Kutte, deren Kapuze auf seine Schultern zurückgefallen war. Der zuckende Widerschein des Feuers beleuchtete ihn. Zwei rote Narben zogen sich über seine Tonsur. Seine nur mit Sandalen bekleideten Füße hinterließen eine Blutspur und auch auf der Stirn hatte er eine blutende Wunde, die von einem Sturz auf einen Stein herrührte. Aus seinem blassen Gesicht sahen große, hohle Augen Alain le Gaucher an. Der Mann zeigte anklagend mit dem Finger auf ihn und schrie mit lauter, befehlender Stimme: »Laßt den Jungen los! Ich bin gekommen, ihn zu holen. Er gehört mir!«
Le Gaucher hatte nur Hugh Beringar im Auge gehabt und bemerkte den Mann erst jetzt. Sein Kopf fuhr herum. Er war wütend, daß jemand das Schweigen brach, das er herbeigeführt hatte und es wagte, den freien Raum zu betreten, den er gefordert hatte.
Ein jäher Schrecken durchfuhr ihn und wenn er auch nicht lange anhielt, so doch lange genug. Einen Moment lang glaubte Alain le Gaucher, ein Toter komme auf ihn zu - schrecklich, unverletzlich und furchtlos. Er sah die Wunden, die er selbst ihm beigebracht hatte, das leichenblasse Gesicht des von ihm Ermordeten - und vergaß seine Geisel. Kraftlos ließ er das Schwert sinken. Zwar wußte er schon im nächsten Augenblick wieder ohne jeden Zweifel, daß Tote nicht wieder aufstehen und kam mit einem wütenden Schrei zur Besinnung, aber sein Vorteil war verspielt: Yves war unter seinem Arm hinweggetaucht und sprang die Treppe hinunter.
Auf seiner kopflosen Flucht stieß er mit einem Mann zusammen, an dessen Wärme und Halt er sich keuchend klammerte und schloß die Augen. »Sei ganz beruhigt, du bist jetzt in Sicherheit«, hörte er Bruder
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