Die Jungfrau Im Eis
schmutzigen Trick nicht noch einmal versuchen würde«, sagte Olivier und steckte sein Schwert in die Scheide, »wenn er dich nur in die Finger bekommen könnte.
Aber wenn er seine Zeit darauf verschwendet, sich einen Weg hier herauf freizuschlagen, wird er verlieren, was dein Leben ihm retten könnte. Er wird versuchen, den Angriff zurückzuschlagen, bevor er sich wieder uns zuwendet.«
»Das wird ihm nicht gelingen!« antwortete Yves voller Überzeugung. »Hört Ihr? Sie sind schon im Hof. Nun werden sie nicht mehr zurückweichen, sie haben ihn in der Falle.«
Vorsichtig warf er durch eine Schießscharte einen Blick auf das Kampfgetümmel. Der ganze Hof wimmelte von kämpfenden Männern - es war ein wogendes Auf und Ab, wie eine stürmische See bei Nacht, beleuchtet nur von den wenigen noch brennenden Fackeln. »Sie haben das Torhaus angezündet und die Pferde und das Vieh hinausgetrieben. Und jetzt holen sie die Bogenschützen vom Wehrgang... Sollten wir ihnen nicht zur Hilfe eilen?«
»Nein«, entschied Olivier bestimmt. »Nur wenn wir müssen.
Wenn du jetzt gefangengenommen wirst, war alles umsonst.
Das Beste, was du für deine Freunde tun kannst, ist, dich von dort fernzuhalten, damit diesem Räuberhauptmann nicht die einzige Waffe in die Hände fällt, mit der er seinen Kopf retten kann.«
Das war nur vernünftig, wenn auch schwer einzusehen für einen aufgeregten Jungen, der sich danach sehnte, Heldentaten zu vollbringen. Aber wenn Olivier es so anordnete, würde Yves sich daran halten.
»Du wirst ein andermal ein Held sein dürfen«, tröstete ihn Olivier, »wenn weniger auf dem Spiel steht und du nur dein eigenes Leben riskierst. Aber deine Aufgabe besteht jetzt darin, geduldig zu warten, auch wenn es dich hart ankommt. Und da wir jetzt Zeit haben, aber vielleicht in Kürze schon sehr in Eile sein werden, hör mir gut zu: wenn wir befreit sind und alles vorbei ist, werde ich dich verlassen. Geh zurück zu deiner Schwester nach Bromfield und gib deinen Freunden die Genugtuung, euch beide wohlbehalten wieder vereint zu haben.
Ich bezweifle nicht, daß sie euch unter dem Schutz bewaffneter Männer zu eurem Onkel nach Gloucester bringen würden, wie sie versprochen haben. Aber ich habe es mir nun einmal in den Kopf gesetzt, meinen Auftrag zu erfüllen und euch selber dorthin zu bringen, wie es mir befohlen wurde. Dies ist meine Aufgabe und ich werde sie zu Ende bringen.«
»Aber wie wollt Ihr das machen?« fragte Yves besorgt. »Mit eurer Hilfe - und der gewisser anderer Leute, die ich kenne.
Gebt mir zwei Tage und ich werde mit Pferden und Proviant zur Stelle sein. Wenn alles gutgeht, werde ich euch übermorgen Nacht in Bromfield abholen und zwar nach der Komplet, wenn die Brüder sich anschicken, zu Bett zu gehen und glauben werden, daß auch ihr schlaft. Frag jetzt nichts mehr - sag ihr nur, daß ich kommen werde. Und wenn ich gezwungen sein sollte, den Männern des Sheriffs Rede und Antwort zu stehen oder wenn man, nachdem ich verschwunden bin, dich fragen sollte... sag mir, Yves, wer war der Mann, der sich hierher zu dir durchgeschlagen hat?«
Yves verstand. Ohne zu zögern antwortete er: »Es war Robert, der Sohn des Wäldlers, der Ermina nach Bromfield gebracht hat und auf seiner Suche nach mir zufällig hierherkam.« Aber zweifelnd fügte er hinzu: »Sie werden sich allerdings fragen, wie ein Wäldler so etwas zustandebringen konnte, wo doch auch die Männer des Sheriffs schon auf der Suche waren. Außer«, fuhr er fort und verzog verächtlich den Mund, »sie denken, daß jeder Mann sein Leben für Ermina aufs Spiel setzen würde, nur weil sie schön ist. Sie ist schön«, gab er großzügig zu, »aber das weiß sie nur zu gut und setzt es bedenkenlos ein. Laßt Euch von ihr nicht zum Narren halten!«
Olivier sah auf das Getümmel im Hof herab, wo eine lange Feuerzunge vom brennenden Torhaus auf das Dach eines der Vorratshäuser übergesprungen war. So konnte der Junge das leise Lächeln, das um seinen Mund spielte, nicht sehen. »Laß sie nur glauben, ich sei Erminas ergebener Sklave, wenn sie das überzeugt«, sagte er. »Erzähl ihnen, was du willst, solange es nur seinen Zweck erfüllt. Überbring ihr meine Nachricht und sorge dafür, daß ihr bereit seid, wenn ich komme.«
»Ja, das werde ich!« schwor Yves. »Ich werde alles tun, was Ihr mir sagt.«
Sie sahen zu, wie das Feuer sich an der Palisade entlang von Dach zu Dach ausbreitete, während der Kampf mit unverminderter Heftigkeit
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