Die Jungfrau im Lavendel
verliebe«, schwor sie erbittert, sobald es ihr besser ging. »In Zukunft werden die Männer für mich da sein, nicht ich für sie.«
Die Vermieterin pflegte sie rührend, Dr. Goldstein kam jeden Tag, sie erholte sich dann erstaunlich rasch.
Dr. Goldstein mit seiner noch jungen Praxis in einem alten Haus nahe der Friedrichstraße lebte keineswegs sorgenfrei zu jener Zeit. Man schrieb das Jahr 1933, er war Jude. Noch behelligte ihn keiner in der Großstadt Berlin, aber daß er in diesem Staat die große Karriere, die er sich vorgestellt hatte – ein berühmter Gynäkologe mit eigener Klinik und reichen Frauen als Patientinnen –, nicht machen würde, war ihm klar, es sei denn, die Verhältnisse änderten sich bald. Noch glaubte ja zu jener Zeit keiner so recht daran, daß Hitler sich lange halten würde auf dem selbst errichteten Thron.
Dr. Goldstein verließ Deutschland im Jahr 1935, ging zunächst nach Paris, wo sich sogar eine Möglichkeit fand, schwarz zu praktizieren, in der Privatklinik eines renommierten Gynäkologen, Jude wie er, jedoch wesentlich älter.
Mit dem Instinkt für Gefahr, den Juden oft von ihren Vorfahren geerbt haben, gewonnen aus der Erfahrung jahrhundertelanger Verfolgung, sagte dieser eines Tages: »Ich bleibe nicht in Europa, und Ihnen, Goldstein, würde ich das gleiche raten.«
Das war im Herbst 1938, nach dem Abkommen von München.
»Ich habe die nötigen Examina, um in den USA zu praktizieren, und Ihnen würde ich raten, sie zu erwerben. Gut, ich weiß, es bedeutet nochmals Studium, es bedeutet Zeitverlust, aber Sie werden sehr gezielt die Chirurgie ansteuern, denn Sie sind der geborene Chirurg. Kommen Sie mit, ich lasse Sie nicht im Stich, außerdem habe ich einflußreiche Freunde drüben.«
»Mir gefällt es sehr gut in Paris«, sagte Dr. Goldstein abwehrend. »Und ich glaube nicht, daß es mir in Amerika gefallen wird. Ich bin Europäer.«
»Alles schön und gut, aber Luxus dieser Art kann man sich jetzt nicht leisten. Man muß kein Prophet sein, um vorauszusagen, was in Ihrem geliebten Europa demnächst passieren wird. Ein Krieg, Goldstein. Und für uns Juden kommen schwere Zeiten. Übrigens, wovon wollen Sie leben, wenn ich nicht mehr hier bin? Sie müßten immer schwarzarbeiten.«
Also übersiedelte Dr. Goldstein nach den Vereinigten Staaten, tat alles, was der ältere Kollege ihm geraten hatte, und wurde ein angesehener Arzt, Gynäkologe und Chirurg.
Dennoch kehrte er Ende der fünfziger Jahre nach Europa zurück, nicht nach Deutschland, aber nach Paris, und nun hatte er hier, was er immer hatte haben wollen, eine erstklassige Privatklinik und zufriedene Patienten.
So einen wie Monsieur d'Archaud zum Beispiel, oder besser gesagt, dessen Damen.
Daß Anita Dr. Goldstein wiederfand, verdankte sie Monsieur d'Archaud, der nette ältere Herr, von dem sie die Villa an der Côte gemietet hatte. Sie traf ihn einmal in Paris, sie gingen zusammen zum Essen, und Anita erfuhr, daß d'Archauds jüngste Tochter soeben ihr zweites Kind bekommen hatte, einen Jungen übrigens, und das sei nun der dritte Enkel, außerdem gab es noch vier Enkeltöchter. Anita staunte gebührend, ließ sich erzählen, und dabei fiel der Name Dr. Goldstein. Alle Töchter und Schwiegertöchter des Monsieur d'Archaud, im ganzen waren es fünf Damen und, wie er mit Stolz vermerkte, alle bemerkenswert hübsche und charmante Frauen, hatten in der Klinik des Dr. Goldstein entbunden.
»Ich will meine eigenen Töchter nicht allzu sehr preisen, aber auch meine beiden Söhne haben Geschmack entwickelt und mir reizende Töchter ins Haus gebracht. Sicher verstehen Sie nun, Madame, warum ich gern in ihrer Nähe sein möchte. So schön mein Haus am Cap ist – es ist doch immer eine Reise, wissen Sie, ich fliege nicht sehr gern, und die Kinder bekomme ich dann auch nur in den Ferien zu sehen. Hier kann ich zwei- oder dreimal in der Woche da oder dort einen Besuch machen, ohne aufdringlich zu erscheinen. Und am Sonntag kommen sie meist alle zu mir zum Essen.«
»Das klingt wunderbar«, sagte Anita lächelnd. »Sie sind zu beneiden, Monsieur. Wie einsam bin ich dagegen.« Möglicherweise war es sogar bei dieser Gelegenheit, daß sie sich zum erstenmal ernsthaft mit der Frage beschäftigte, was denn aus ihrer Tochter, ihrer einzigen Tochter, geworden sei. »Sagten Sie vorhin Dr. Goldstein?«
Nachdem sie einiges über den Arzt erfahren hatte, konnte sie ziemlich sicher sein, daß es sich um ihren alten Freund handelte.
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