Die Jungfrau im Lavendel
Sie besuchte ihn, zunächst nicht als Patientin, und er freute sich genauso, sie wiederzusehen, wie sie sich freute. »Mein Gott, Doktor, wenn Sie damals nicht gewesen wären, lebte ich schon lange nicht mehr.«
»Sie haben mich also nicht vergessen.«
»Wie könnte ich? Ich hatte zuvor in meinem Leben nie soviel selbstlose Güte kennengelernt. Abgesehen davon, daß Sie mir das Leben gerettet haben. Und eine Rechnung habe ich auch nie von Ihnen bekommen.«
»Daran erinnere ich mich gar nicht mehr.«
»Aber ich erinnere mich, und sehr gut sogar. Sehen Sie, heute kann ich Ihnen die gestundeten Rechnungen mit Zins und Zinseszinsen zahlen.«
»Tröstlich zu wissen, Madame. Nur brauche ich das Geld momentan nicht. Damals, gewiß, da hätte ich es brauchen können. Aber da hatten Sie leider keins.«
»Das ist wahr. Sie und Frau Forster waren so gut zu mir. Frau Forster, bei der ich wohnte, wissen Sie noch?«
»Der Name war mir entfallen. Aber ich sehe sie noch vor mir. So eine echte Berlinerin mit dem Herzen auf dem rechten Fleck. Hübscher Ausdruck, nicht? Macht mir richtig Spaß, wieder einmal deutsch zu sprechen.«
Anita erzählte von ihren beiden Ehen, wovon die zweite, mit Senhor Henriques, einem reichen Brasilianer, ebenso glücklich wie lukrativ gewesen war.
»Glücklich im Sinne von Behütetsein, von Geborgenheit, und natürlich auch von Wohlstand, wie ich ihn nie gekannt hatte. Er war sehr viel älter als ich, fast dreißig Jahre, und seine Familie haßt mich, weil sie der Meinung ist, ich hätte es nur auf sein Geld abgesehen.«
»Und war es nicht so?«
»Natürlich. Das auch. Ich traf ihn in New York, 1956, und es ging mir ziemlich dreckig. Nein, ich kann nicht sagen, daß ich ihn aus Liebe geheiratet hätte. Wenn man Liebe nur als Sex verstehen will. Ich war ihm dankbar, daß er mich aus dem Elend herausholte, in dem ich vegetierte. Außerdem war er ein sehr gut aussehender und noch recht vitaler Mann. Er trug mich auf Händen. Das ist auch so ein hübscher Ausdruck, wie Sie eben sagten. Nun ist er tot. Doch ich glaube, ich habe ihn nicht enttäuscht. Ich hatte auch als seine Frau viele Verehrer, aber ob Sie es glauben oder nicht, ich habe ihn nie betrogen. Was seine Familie nie glauben wollte, sie schickten sogar Detektive hinter mir her. Darum, das werden Sie bestimmt auch verstehen, macht es mir jetzt Spaß, einen hübschen jungen Liebhaber zu haben. Vielleicht heirate ich Danio sogar, schon um die Sippe in Brasilien zu ärgern.«
Dr. Goldstein lachte.
»Geld muß ein bißchen verteilt werden, da haben Sie recht, es sollte sich nicht immer nur auf dem gleichen Platz und in denselben Händen befinden.«
»Sehen Sie, Doktor, das sage ich auch. Meine Ansichten entsprachen vielleicht nicht immer der landläufigen Moral, aber ein ganz so böser Mensch, wie mein erster Mann behauptet, bin ich denn doch nicht.«
Von der ersten Ehe mit dem Hauptmann Stettenburg-von Maray hatte sie schon kurz berichtet. Auch das war nicht das, was man eine Liebesheirat nannte, auch dieser Mann war viel älter gewesen als sie. Aber auch er ein gutaussehender Mann, sehr attraktiv, besonders in der Uniform, mit besten Manieren und imponierender Haltung.
Als sie ihn kennenlernte, arbeitete Anita als Verkäuferin in einem kleinen Geschäft in der Tauentzienstraße, nachdem sie erst als Nummerngirl im ›Plaza‹, dann als Mannequin in der Engros-Konfektion tätig gewesen war. Alles nicht die Art von Leben, das sie sich erträumt hatte. Für den Stettenburg-von Maray, der alles andere war als ein Frauenkenner, war sie das herrlichste weibliche Wesen, das ihm je begegnet war. Pech hatte sie auch damals schon mit der Familie, obwohl sie nur aus einer einzigen Person bestand, seiner Mutter; sie ließ sich von Anitas blendender Erscheinung nicht täuschen, für sie war diese Heirat eine Mesalliance schlimmster Art, die junge Anita weit unter jenem Niveau, aus dem ihr Sohn sich eine Frau hätte suchen dürfen. Womit sie recht behielt, denn so zurückhaltend und beherrscht wie zu Zeiten des Senhor Henriques war Anita damals nicht. Das alles hatte Dr. Goldstein erfahren, als Anita Henriques ihn das erstemal aufsuchte. Es verging über ein Jahr, als sie zum zweitenmal kam, und da kam sie als Patientin. Nun erfuhr er den Rest. Der Amerikaner aus Virginia, den sie so sehr geliebt hatte wie keinen Mann in ihrem Leben zuvor und danach …
»Damals, als wir uns kennenlernten, dachte ich, die große Liebe erlebt zu haben. Das war
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