Die Jungfrau im Lavendel
sein Nachfolger auf dem französischen Thron, Louis-Philippe, mußte lange Jahre auf afrikanischem Boden für das neue französische Kolonialgebiet kämpfen, denn die Araber unter ihrem berühmten Führer Abd El-Kader wehrten sich mit aller Kraft gegen die Eindringlinge aus Frankreich. Von ihrem Standpunkt aus gewiß zu Recht. Aber noch bestimmte der Geist jener Zeit, daß ein europäischer Staat um so mächtiger und reicher war, je mehr Kolonien auf fremden Kontinenten er besaß. England hatte ihnen da ein Beispiel gegeben, dem sie alle nacheiferten. Was Frankreich betraf, so konnte man den Wunsch nach neuer Macht recht gut verstehen, wenn man bedachte, wie tief die Nation nach Napoleons Sturz gedemütigt worden war. Zuvor lag Europa vor ihr im Staub, doch dann bedeutete das Ende Napoleons auch das Ende von Frankreichs Größe.
Aber das 19. Jahrhundert mit seinem geistigen und wirtschaftlichen Aufschwung ließ auch Frankreich wieder aufsteigen, und Algerien, dreimal so groß wie Frankreich selbst, stärkte das Selbstbewußtsein der Nation. Bereits gegen Ende der vierziger Jahre lebten etwa 50.000 Franzosen in Algier, auch Jules de Valmeraine ließ sich dort nieder, nachdem er als Offizier der französischen Armee unter General Bugeaud siegreich gegen den Sultan von Marokko gekämpft hatte.
Meliza hatte schon recht: für Dido de Valmeraine, genau hundert Jahre später geboren, konnte dieses Land nichts anderes sein als ihre Heimat. Die Valmeraines waren reich geworden, sie besaßen das Gut in der Gegend von Constantine, ein riesiger Besitz, auf dem sie ihren eigenen Wein bauten, ein Stadthaus in Algier, im Hafen die eigene Yacht. Alles war verloren. Geblieben war die schäbige Ferme in den provençalischen Bergen.
Einmal hatte ihr Vater Dido hier mit herauf genommen. »Auf einer Bank in Nizza ist ein Konto für dich eröffnet worden. Es ist nicht allzu viel, aber es wird dir eine Zeitlang weiterhelfen.«
»Wie meinst du das, Vater? Wozu brauche ich Geld in Nizza?«
»Sei nicht töricht, meine Tochter. Wir stehen in einem erbarmungslosen Kampf, und man kann nie wissen, wie er ausgeht. Wenn wir unterliegen, mußt du Algerien verlassen. In Nizza ist ein wenig Geld für dich, dort droben ein Dach über dem Kopf. Merke dir den Weg hier herauf. Einen von uns wirst du immer finden.«
Es war eine Schreckensnacht für sie gewesen, der Mistral heulte schauerlich durch die Schluchten, das Haus war voller Männer, voller Waffen.
Den Weg zur Ferme hatte sie gefunden, als sie nach dem Vertrag von Evian im Jahre 1962 Algerien verlassen mußte. Von den Männern war keiner mehr da.
Als sie den verlassenen Platz sah, überall noch Spuren der Männer, die tot oder gefangen waren, brach sie in hysterisches Schluchzen aus. Noch nie im Leben war sie allein gewesen. Sie blieb drei Tage auf der Ferme, ratlos, was zu tun sei. Dann lief sie nach Lassange hinunter und nahm den Bus zur Küste. Irgendwo mußte sie doch irgendeinen finden, der zu ihr gehörte.
Sie holte sich ein wenig Geld in Nizza, begegnete überall der Feindseligkeit gegen ihresgleichen, nur Spott und Verachtung hatten die europäischen Franzosen für die einst so mächtigen colons, die Herren Algeriens, für die verwöhnten Prinzessinnen aus den weißen Palästen, die auf einmal vor dem Nichts standen.
Flüchtlinge – wie immer, zu jeder Zeit, in jedem Land waren sie verhaßt, wurden abgewiesen, fanden verschlossene Türen und verschlossene Herzen.
Sie fuhr nach Marseille, wo viele der pieds noirs, wie man ihre Landsleute hier nannte, gelandet waren. Aber Marseille war fürchterlich, die Brutalität der Stadt erschreckte sie zutiefst, sie war ja noch so jung und unerfahren. Natürlich gab es ausreichend Männer, die ihr beistehen wollten. Aber dazu war sie viel zu stolz. Bisher hatte sie nur einen geliebt, auch er war tot, massakriert in den Straßen von Algier von seinen eigenen Leuten.
In Marseille traf sie Pierre, ihren Cousin, einer, dem man nie recht getraut hatte, der geborene Spion, wie man ihn nannte.
Er hatte überlebt, er war frei. Natürlich, es konnte gar nicht anders sein. Er war sofort bereit, Dido zu sich zu nehmen, aber sie lehnte ab, immerhin blieb sie in Verbindung mit ihm, er war das einzige, was ihr persönlich aus alter Zeit geblieben war.
Sie kehrte nun doch zurück auf die Ferme und benutzte das Geld in Nizza, um sich einigermaßen wohnlich einzurichten. Es reichte auch noch für ein kleines Auto, dann war sie so gut wie
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