Die Jungfrau im Lavendel
er?«
»Nicht hier. Wir sind ungestört. Das Mädchen kann unserem Gespräch nicht folgen.«
Dido hatte Essen zubereitet, ein gutes Menu, sie aßen lange, tranken guten Wein dazu. Virginia wurde wie immer sehr schnell müde, und Dido schickte sie zu Bett. Sie bewohnte jetzt einen Raum, der links hinter der Küche lag.
Virginia, ein Leben lang gewohnt, zu gehorchen, gehorchte auch Dido. Sie sagte artig gute Nacht, nahm ihre Katze mit und verschwand. Aber sie ging noch nicht gleich zu Bett. Sie saß am offenen Fenster und blickte in den Himmel hinauf. Was für Sterne! Riesengroß, funkelnd an einem samtschwarzen Himmel.
Dido, Alain und Pierre saßen lange zusammen und redeten. Die Idee mit Südafrika fand Pierre gut. Lässig sagte er: »Falls du Geld brauchst für den Anfang, du kannst es von mir haben. Und wenn du etwas aufgebaut hast, komme ich nach.«
Und zu Dido gewandt: »Wann wirst du reisen?«
»Sobald ich das Mädchen los bin.«
»Was ist eigentlich mit der Mutter?«
»Keine Ahnung. Sie ist offenbar für längere Zeit verreist.«
Pierre sah die Sterne auch, als sie lange nach Mitternacht vors Haus traten. Er wies zum Himmel.
»Seht ihr, wie groß die Sterne sind? Morgen kommt der Mistral. So sieht der Himmel aus, ehe der Mistral über uns herfällt. Du fährst hoffentlich nicht die Rhône hinauf?«
»Gewiß nicht. Ich nehme den kürzesten Weg. Ich werde über Italien hinausfahren«, sagte Alain.
Und wieder eine letzte Flamme von Mißtrauen in Dido – wenn Pierre nun doch ein Verräter war?
Aber schließlich, was hätte er davon?
Dido weinte, als sie von ihrem Bruder Abschied nahm. »Wir sehen uns bald wieder«, sagte er. »Aber sei bitte vorsichtig und mach keine Dummheiten. Sieh zu, daß du aus dieser Sache mit Virginia herauskommst. Mir tut die Kleine leid, ich habe sie direkt liebgewonnen. Aber sie kann bei dir nicht bleiben. Gib sie Danio, er soll sie zu ihrer Mutter bringen. Oder Pierre soll sie zurückbringen lassen in das Kloster. Nur loswerden mußt du sie. Denn eines Tages, das ist doch klar, muß doch mal jemand nach ihr suchen.« Er küßte Virginia zum Abschied auf die Wange. »Adieu, ma petite.«
Dann küßte er Dido auf den Mund. »Wir sehen uns in London. Du hast beide Adressen im Kopf, die ich dir gesagt habe?«
Sie nickte. Sie war unglücklich, daß er ging. Unglücklich aber auch, daß sie gehen sollte.
Sie merkte plötzlich, daß sie viel lieber hier bleiben würde. Aber Alain hatte recht. Sie konnte nicht auf der Ferme Confiance sitzen, bis sie so aussah wie Mère Crouchon. Die Ziegen würde sie den Bertins schenken und Chariot die Hühner. Sie würde die starren, abweisenden Gesichter in Lassange nicht mehr sehen müssen. Aber die Ferme? Wer würde auf der Ferme leben?
Keiner, beschloß Dido wild. Keiner. Sie gehört mir, und sie wird mir immer gehören. Und wenn ich will, kann ich jederzeit zurückkehren.
Virginia sah die Tränen auf Didos Gesicht und griff scheu nach ihrer Hand.
»Er ist fort«, sagte sie leise. »Aber er kommt doch wieder?«
»Ich werde ihn bald wiedersehen«, sagte Dido entschlossen. »Komm, wir sind gar nicht zum Frühstücken gekommen. Wir machen uns eine schöne Tasse Kaffee.« Ihre Finger schlossen sich um Virginias Hand. Sehr seltsam, aber sie war froh, daß das Mädchen da war, diese kleine Unschuld, die so ahnungslos allem Unheil entging.
Fünf Tage später kam eine kurze Nachricht von Pierre: der Vater ist tot. Keinerlei Nachforschung.
Womit der kluge Pierre sich auch einmal irrte. Denn Juschi Landau war schon unterwegs.
Juschi
An jenem Abend, als der Oberst Ferdinand Stettenburg-von Maray seinen letzten Besuch im Hause Landau machte und von dem Zusammentreffen mit Virginia, die dem Namen nach seine Tochter war, erzählte, halb widerstrebend, gleichzeitig doch erleichtert, darüber sprechen zu können, und mit wem konnte er das schon, wenn nicht bei diesen einzigen Freunden, die er besaß, an jenem Abend faßte Juschi Landau den Entschluß, sich nun einmal selbst um dieses arme Mädchen zu kümmern. Hinfahren, sie kennenlernen, sich mit ihr unterhalten, die einfachste Sache der Welt, und Juschi ärgerte sich, daß sie bisher noch nicht auf diese Idee gekommen war. Dem armen Mädchen, nun so gut wie erwachsen, mußte es doch guttun, zu erfahren, daß es auf Gottes weiter Welt wenigstens noch einen Menschen gab, der sich für seine Existenz und seine Zukunft interessierte.
»Weißt«, hatte Juschi an jenem Abend zu ihrem Mann gesagt,
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