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Die Jury

Titel: Die Jury Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Anwälte, Bürgen und Freundinnen.
    Carl Lee richtete sich sofort auf. »Ja. Ich habe kaum geschlafen.«
    »Ein Besucher erwartet Sie.« Moss schloß leise die Zellentür auf.
    Carl Lee hatte den Reverend vor Jahren kennengelernt, als er in die letzte Klasse der schwarzen High-School gegangen war. Kurz darauf folgte die Aufhebung der Rassentrennung, und daraufhin wurde die East High zu einer Mittelschule, deren Klassen aus Schwarzen und Weißen bestanden. Seit dem Schlaganfall hatte er Street nicht mehr gesehen.
    »Das ist Reverend Isaiah Street, Carl Lee«, stellte Moss den Alten vor.
    »Ich kenne ihn.«
    »Gut. Ich lasse Sie jetzt allein.«
    »Wie geht es Ihnen, Sir?« fragte Carl Lee. Sie saßen nebeneinander auf der Couch.
    »Gut. Und Ihnen?«
    »So gut, wie es die Umstände erlauben.«
    »Auch ich bin im Gefängnis gewesen. Vor vielen Jahren. Es ist ein schrecklicher, aber wahrscheinlich notwendiger Ort. Wie behandelt man Sie?«
    »Oh, ich kann nicht klagen. Ozzie erfüllt mir praktisch jeden Wunsch.«
    »Ja, Ozzie. Wir sind sehr stolz auf ihn, nicht wahr?«
    »Natürlich, Sir. Er ist ein guter Polizist und hat eine Menge Verständnis.« Carl Lee musterte den Alten mit dem Spazierstock. Der Körper war müde und schwach, doch der Verstand scharf und die Stimme fest.
    »Wir sind auch stolz auf Sie, Carl Lee. Ich verabscheue Gewalt, aber ich fürchte, manchmal ist sie erforderlich. Sie brauchen sich nichts vorzuwerfen.«
    »Ja, Sir«, entgegnete Hailey und wußte nicht recht, wie er reagieren sollte.
    »Bestimmt fragen Sie sich, warum ich hier bin.«
    Carl Lee nickte. Der Reverend klopfte mit dem Spazierstock auf den Boden.
    »Ich mache mir Sorgen im Hinblick auf den Prozeß. Alle Schwarzen sind besorgt. Als Weißer könnten Sie praktisch damit rechnen, von den Geschworenen freigesprochen zu werden. Die Vergewaltigung eines Kindes ist ein gräßliches Verbrechen, und wer kann es einem Vater verdenken, Vergeltung zu üben und der Gerechtigkeit Genüge zu verschaffen? Damit meine ich einen weißen Vater. Ein schwarzer Vater kann bei Schwarzen die gleiche Anteilnahme erwarten, aber es gibt ein Problem: Die Jury wird aus Weißen bestehen. Deshalb haben ein schwarzer und ein weißer Vater nicht die gleichen Chancen vor Gericht. Verstehen Sie?«
    »Ich glaube schon.«
    »Es hängt alles von den Geschworenen ab. Schuld und Unschuld. Freiheit und Gefängnis. Leben und Tod. Darüber entscheidet die Jury. Es ist problematisch, das Schicksal eines Angeklagten in die Hände von zwölf durchschnittlichen, gewöhnlichen Personen zu legen, die nicht das Gesetz studiert haben und sich leicht beeindrucken lassen.«
    »Ja, Sir.«
    »Wenn Sie von einer weißen Jury freigesprochen werden, obwohl Sie zwei Weiße umbrachten... Das würde der Sache der Schwarzen in Mississippi mehr nützen als alle anderen Ereignisse seit der Integration unserer Schulen. Und es geht dabei nicht nur um Mississippi, sondern um alle Schwarzen in den Staaten. Ihr Fall ist berühmt; viele Leute beobachten, was hier geschieht.«
    »Ich habe nur getan, was ich für richtig hielt.«
    »Genau. Was Sie für richtig hielten. Und es war richtig, wenn auch brutal, blutig und scheußlich. Aber Ihnen blieb gar keine andere Wahl. Die meisten Schwarzen und Weißen sind dieser Ansicht. Aber die Frage lautet: Wird man Sie vor Gericht wie einen Weißen behandeln?«
    »Und meine Verurteilung? Was würde sie bedeuten?«
    »Sie käme einer weiteren Niederlage für uns gleich. Sie wäre ein Symbol für tief verwurzelten Rassismus, alte Vorurteile und alten Haß. Sie wäre eine Katastrophe für uns. Sie dürfen auf keinen Fall verurteilt werden.«
    »Ich gebe mir alle Mühe, das zu verhindern.«
    »Tatsächlich? Sprechen wir über Ihren Anwalt, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    Carl Lee nickte.
    »Sind Sie ihm begegnet?«
    »Nein.« Hailey senkte den Kopf und rieb sich die Augen. »Sie?«
    »Ja, ich habe ihn kennengelernt.«
    »Wirklich? Wann?«
    »1968 in Memphis. Ich war damals mit Dr. King zusammen. Marscharfski und einige andere Anwälte vertraten die streikenden Arbeiter der Müllabfuhr. Er forderte Dr. King auf, Memphis zu verlassen – weil er angeblich die Weißen verärgere und die Schwarzen aufstachle. Marscharfski meinte, Martin Luther Kings Anwesenheit verhindere einen Erfolg bei den Verhandlungen mit der Stadt. Er war arrogant und aggressiv. Er verfluchte Dr. King – natürlich nicht in der Öffentlichkeit. Wir vermuteten, daß er die Arbeiter verriet und sich von

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