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Die Jury

Titel: Die Jury Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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half, den Schmerz der Armut zu lindern.
    Einerseits freute sich Lester, wenn er wieder in Mississippi war, und andererseits erfüllte ihn der Aufenthalt in seiner alten Heimat mit Trauer. Die Freude bezog sich auf das Wiedersehen mit der Familie, die Niedergeschlagenheit auf ihre Not. Doch es gab auch positive Aspekte. Carl Lee hatte eine anständige Arbeit gehabt, besaß ein sauberes Haus und gut gekleidete Kinder. Er bildete eine Ausnahme, und nun geriet alles in Gefahr – die Schuld daran trugen zwei betrunkene weiße Mistkerle. Schwarze hatten eine Entschuldigung dafür, nichtsnutzig zu sein, im Gegensatz zu Weißen, die in einer weißen Welt lebten. Glücklicherweise verfaulten die beiden Burschen im Grab. Lester war stolz auf seinen Bruder.
    Nach sechs Stunden ging die Sonne auf, als er den Fluß bei Cairo überquerte. Zwei Stunden später kreuzte er ihn noch einmal, bei Memphis. Er setzte die Fahrt nach Süden fort und erreichte Mississippi. Nach sechzig weiteren Minuten passierte er das Gerichtsgebäude in Clanton. Lester war jetzt seit zwanzig Stunden wach.
    »Sie haben Besuch, Carl Lee«, sagte Ozzie durchs Gitter der Zellentür.
    »Ich bin nicht überrascht. Wer ist es diesmal?«
    »Folgen Sie mir. Ich schlage vor, Sie reden in meinem Büro mit ihm. Es dauert sicher eine Weile.«
    Jake saß in seiner Praxis und wartete auf das Klingeln des Telefons. Zehn Uhr. Inzwischen mußte Lester in der Stadt sein. Elf Uhr. Jake blätterte in einigen alten Akten und schrieb Notizen für Ethel.
    Mittag. Er rief Carla an und log: Angeblich traf er um eins einen neuen Klienten, und deshalb mußte das Mittagessen ausfallen. Er stellte ihr Gartenarbeit am Nachmittag in Aussicht. Ein Uhr. Er entdeckte einen Fall aus Wyoming – ein Ehemann war freigesprochen worden, nachdem er den Vergewaltiger seiner Frau ermordet hatte. Wann? 1893. Jake kopierte die Unterlagen und warf sie dann in den Papierkorb. Zwei Uhr. Befand sich Lester wirklich in Clanton? Er spielte mit dem Gedanken, Leroy zu besuchen und im Gefängnis herumzuschnüffeln, entschied sich jedoch dagegen. Statt dessen streckte er sich auf der Couch aus.
    Um Viertel nach zwei klingelte des Telefon endlich. Jake sprang auf, und sein Herz klopfte schneller, als er den Hörer abnahm. »Hallo!«
    »Hier ist Ozzie, Jake.«
    »Was liegt an?«
    »Bitte kommen Sie ins Gefängnis.«
    »Weshalb?« fragte Jake unschuldig.
    »Man braucht Sie hier.«
    »Wer?«
    »Carl Lee will mit Ihnen reden.«
    »Ist Lester da?«
    »Ja. Er möchte ebenfalls mit Ihnen sprechen.«
    »Ich bin unterwegs.«
    »Seit über vier Stunden sitzen sie dort drin.« Ozzie deutete auf die Tür seines Büros. »Was machen sie?«
    »Sie diskutieren, schreien und fluchen. Vor 'ner halben Stunden wurde es stiller. Schließlich kam Carl Lee zu mir her und bat mich, Sie anzurufen.«
    »Danke. Gehen wir rein.«
    »O nein. Ich bleibe hier. Niemand hat erwähnt, daß meine Anwesenheit erforderlich ist. Diese Sache müssen Sie allein hinter sich bringen.« Jake klopfte an. »Herein!«
    Er öffnete die Tür langsam und schloß sie hinter sich. Carl Lee saß am Schreibtis ch, und Lester lag auf der Couch. Er erhob sich und schüttelte Jake die Hand. »Freut mich, Sie wiederzusehen.«
    »Mich auch. Was führt Sie nach Clanton zurück?«
    »Familienangelegenheiten.«
    Jake sah Carl Lee an, ging dann zum Schreibtisch und reichte auch ihm die Hand. Sein früherer Klient schien zornig zu sein. »Sie wollten mich sprechen?«
    »Ja, Jake, setzen Sie sich«, sagte Lester. »Wir müssen unbedingt miteinander reden. Carl Lee hat Ihnen etwas mitzuteilen.«
    »Sag du's ihm«, brummte der andere Hailey. Lester seufzte und rieb sich die Augen. Er war müde und verärgert. »Ausgeschlossen. Es betrifft nicht mich, sondern dich und Jake.« Lester schloß die Augen und entspannte sich auf dem Sofa. Jake nahm in einem Sessel an der Wand Platz und starrte zur Couch. Er vermied es, den Blick auf Carl Lee zu richten, der hinter dem Schreibtisch saß und den Eindruck erweckte, mit sich selbst zu ringen. Er schwieg, ebenso wie sein Bruder. Jake wartete drei Minuten lang, und schließlich hatte er genug.
    »Wer hat mich hierherbestellt?« fragte er. »Ich«, erwiderte Carl Lee. »Nun, was wollen Sie?«
    »Ich möchte Sie wieder damit beauftragen, mich zu verteidigen.«
    »Und wenn ich nicht bereit bin, Ihren Fall zurückzunehmen?«
    »Was?« Lester setzte sich auf und blinzelte verblüfft. »Es handelt sich nicht um ein Ding, das man hin- und

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