Die Jury
keinem Zusammenhang mit der normalen Kollekte stand, und sie ging in allen Kirchen mit rührenden Ansprachen einher: Stellt euch nur einmal vor, was mit dem kleinen Hailey-Mädchen und ihren Eltern passiert, wenn nicht genug Geld gesammelt wird. Gelegentlich erwähnte man auch den heiligen Namen der NAACP, was die meisten Kirchgänger dazu veranlaßte, noch tiefer in die Tasche zu greifen.
Nach den Gottesdiensten leerte man die Schachteln, Körbe und Teller, um die Einnahmen zu zählen, und das Ritual wiederholte sich nach der Abendmesse. Gegen dreiundzwanzig Uhr am Sonntag addierte man die Summen der Morgen- und Abendspenden. Jeder Prediger zählte sie noch einmal. Am Montag sollte ein großer Prozentsatz davon zu Reverend Agee gebracht werden, damit er das Geld irgendwo in seiner Kirche aufbewahrte. Es war vorgesehen, den größten Teil zugunsten der Familie Hailey auszugeben.
Von zwei bis fünf an jedem Sonntagnachmittag stand den County-Häftlingen ein großer umzäunter Hof hinter dem Gefängnis zur Verfügung. Für jeden Gefangenen waren höchstens drei Besucher zugelassen, Freunde und/oder Verwandte, und sie durften maximal eine Stunde bei ihm bleiben. Es gab mehrere Schatten spendende Bäume, einige alte Picknicktische und sogar ein Gestell mit einem Basketballkorb. Deputys und Hunde hielten auf der anderen Seite des Zauns Wache.
Eine gewisse Routine hatte sich eingestellt. Gwen und die Kinder verließen die Kirche um drei Uhr, nach dem Segen, und fuhren dann zum Gefängnis. Ozzie ließ Carl Lee früh auf den Hof, um ihm Gelegenheit zu geben, am besten Picknicktisch Platz zu nehmen – er befand sich im Schatten eines nahen Baums. Dort saß er allein, sprach mit niemandem und beobachtete das Basketball-Getümmel, bis seine Familie eintraf. Eigentlich wurde gar kein Basketball gespielt, sondern eine Mischung aus Rugby, Ringen, Judo und Handball. Niemand wagte es, in die Rolle des Schiedsrichters zu schlüpfen. Trotzdem floß kein Blut; es kam nicht einmal zu Handgreiflichkeiten. Ein Kampf bedeutete Einzelhaft und einen Monat lang keine Freistunden.
Mehrere Besucher – einige Freundinnen und Ehefrauen – saßen am Zaun im Gras, sprachen mit ihren Männern und starrten zum Durcheinander unter dem Basketballkorb. Ein Pärchen fragte Carl Lee, ob es an seinem Tisch essen könne. Er schüttelte den Kopf. Der Häftling und seine Begleiterin gingen und aßen im Gras.
Diesmal traf Carls Lees Familie schon vor drei Uhr ein. Deputy Hastings, Gwens Vetter, schloß das Tor auf, und die Kinder liefen zu ihrem Vater. Gwen stellte die vorbereiteten Speisen auf den Tisch. Carl Lee spürte die Blicke der anderen Gefangenen und genoß ihren Neid. Wenn er weiß oder kleiner und schwächer gewesen wäre, hätte man ihn sicher aufgefordert, das Essen mit den übrigen Häftlingen zu teilen. Aber er war Carl Lee Hailey, und niemand starrte ihn längere Zeit an. Die Lautstärke unter dem Basketballkorb nahm wieder zu; Carl Lee und seine Familie speisten in aller Ruhe. Tonya saß wie immer neben ihrem Vater.
»Heute morgen hat man mit einer Kollekte für uns begonnen«, sagte Gwen nach dem Essen.
»Wer?«
»Die Kirche. Bischof Agee meinte, von jetzt an werde jeden Sonntag in allen Kirchen Geld gesammelt. Für uns und die Anwaltskosten.«
»Wieviel?«
»Das weiß ich nicht. Er kündigte an, daß er die Gemeindemitglieder an jedem Sonntag zu Spenden aufrufen wolle, bis zum Prozeß.«
»Das ist mächtig nett von ihm. Was hat er über mich gesagt?«
»Er sprach nur über den Fall und so. Er meinte, die Verteidigung sei teuer, und wir brauchten dringend Geld von den Kirchen. Erwähnte die christliche Pflicht, dem Nächsten zu helfen. Bezeichnete dich als Helden.«
Eine angenehme Überraschung, dachte Carl Lee. Er hatte geistigen Beistand erwartet, aber keinen finanziellen. »In wie vielen Kirchen findet die Kollekte statt?«
»In allen schwarzen dieser County.«
»Wann bekommen wir das Geld?«
»Bischof Agee nannte keinen bestimmten Tag.«
Erst nimmt er sich seinen Anteil, überlegte Carl Lee. »Jungs, spielt mit eurer Schwester drüben am Zaun. Mutter und ich haben etwas zu besprechen. Seid artig.«
Carl Lee jr. und Robert führten Tonya fort.
»Was sagt der Arzt?« fragte Carl Lee und sah den Kindern nach.
»Inzwischen geht es unserer Tochter besser. Ihr Kiefer heilt gut. In einem Monat wird vielleicht der Draht entfernt. Und sicher dauert es nicht mehr lange, bis sie wieder springen und laufen kann wie früher. Sie
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