Die Jury
der M-16 vorsprang. An das Krachen der Schüsse, an die Schreie, als sie an ihren Handschellen zerrten, sich umwandten und versuchten, nach oben zu fliehen, als sie stolperten und fielen. Er erinnerte sich daran, wie er lächelte und sogar laut lachte, während die Kugeln Cobb und Willard durchbohrten. Als sie sich nicht mehr gerührt hatten, war er fortgelaufen.
Tonyas Vater schmunzelte erneut. Er bereute nichts. Der erste von ihm getötete Vietcong hatte sein Gewissen weitaus mehr belastet.
Der an Walter Sullivan gerichtete Brief kam sofort zur Sache: Lieber J. Walter, ich nehme an, Mr. Marscharfski hat Ihnen inzwischen mitgeteilt, daß er Carl Lee Hailey nicht länger vertritt. Daher ist Ihre Beteiligung an diesem Fall nicht mehr erforderlich. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.
Mit freundlichen Grüßen Jake L. Winston Lotterhouse bekam eine Kopie dieses Briefes. Das an Noose gerichtete Schreiben war ebenso knapp:
Sehr geehrter Richter Noose, der Angeklagte Carl Lee Hailey hat beschlossen, sich wieder von mir verteidigen zu lassen. Wir bereiten uns auf den Prozeßbeginn am 22. Juli vor. Bitte veranlassen Sie, daß mein Name als zuständiger Anwalt in der betreffenden Gerichtsakte verzeichnet wird.
Hochachtungsvoll Jake Eine Kopie dieses Schreibens ging an Buckley.
Marscharfski rief um halb zehn am Montag morgen an. Jake ließ ihn zwei Minuten lang warten, bevor er den Hörer abnahm. »Hallo.«
»Wie haben Sie das gedeichselt?«
»Wer spricht dort?«
»Hat Ihnen Ihre Sekretärin nichts gesagt? Bo Marscharfski. Ich will wissen, wie Sie es fertiggebracht haben.«
»Was meinen Sie?«
»Wie ist es Ihnen gelungen, mir den Fall abzujagen?« Bleib ganz ruhig, dachte Jake. Laß dich nicht von ihm
provozieren. »Wenn ich mich recht entsinne, wurde der Fall mir abgejagt«, erwiderte er.
»Ich bin Hailey nie begegnet, bevor er mich bat, ihn zu vertreten.«
»Das war auch gar nicht nötig. Sie haben den Ganoven geschickt, für den Sie arbeiten.«
»Werfen Sie mir Abwerbung vor?«
»Ja.«
Marscharfski zögerte, und Jake erwartete Flüche.
»Wissen Sie was, Mr. Brigance? Sie haben recht. Ich jage tatsächlich Fällen nach. Ich bin ein Abwerbungsspezialist. Deshalb verdiene ich soviel Geld. Wenn ein strafrechtlicher Fall Aufsehen erregt, so will ich ihn haben. Und um ihn zu erhalten, verwende ich jedes Mittel.«
»Seltsam. Davon war in dem Zeitungsartikel nicht die Rede.«
»Wenn ich den Fall will, so bekomme ich ihn.«
»Viel Glück«, sagte Jake, legte auf und lachte zehn Minuten lang. Er zündete sich eine billige Zigarre an und arbeitete an dem Antrag auf Verlegung des Verhandlungsortes.
Zwei Tage später rief Luden an und bestellte Jake zu sich. Es ging um eine wichtige Angelegenheit. Er hatte einen Besucher, den er Jake vorstellen wollte.
Der Besucher war Dr. W. T. Bass, ein pensionierter Psychiater aus Jackson. Er kannte Luden schon seit Jahren, und während ihrer Freundschaft hatten sie bei zwei Fällen von Unzurechnungsfähigkeit zusammengearbeitet. Beide Verbrecher saßen noch immer in Parchman. Er war ein Jahr vor Luciens Lizenzentzug in den Ruhestand gegangen, und zwar aus dem gleichen Grund, dem Wilbanks seinen Ausschluß aus der Anwaltschaft verdankte: Jack Daniel's.
Manchmal besuchte er Lucien in Clanton, und beide fanden großen Gefallen daran – weil es ihnen gefiel, gemeinsam zu trinken. Sie saßen nun auf der großen Veranda und erwarteten Jake.
»Behaupten Sie einfach, er sei verrückt gewesen«, sagte Lucien.
»War er's?« fragte der Psychiater.
»Das spielt keine Rolle.«
»Was spielt eine Rolle?«
»Die Geschworenen brauchen einen Vorwand, um den Angeklagten freizusprechen. Es ist ihnen völlig gleich, ob er unzurechnungsfähig war oder nicht. Sie benötigen nur eine legale Basis für den Freispruch.«
»Ich würde ihn gern untersuchen.«
»Kein Problem. Reden Sie mit ihm. Er sitzt im Gefängnis und freut sich über jede Gelegenheit, mit jemandem zu sprechen.«
»Ich muß ihn mehrmals besuchen.«
»Ja.«
»Und wenn ich glaube, daß er zum Tatzeitpunkt nicht übergeschnappt gewesen ist?«
»Dann sagen Sie nicht vor Gericht aus. Dann erscheint Ihr Bild nicht in der Zeitung. Dann können Sie leider keine Interviews fürs Fernsehen geben.« Lucien zögerte lange genug, um einen großen Schluck zu trinken. »Es ist doch ganz einfach. Sprechen Sie mit ihm. Machen Sie sich Notizen. Stellen Sie dumme Fragen. Der übliche Kram. Und anschließend sagen Sie, er sei verrückt
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