Die Jury
Praxis durch den hinteren Eingang. Die vordere Tür war seit einer Woche verschlossen. Ständig klopfte jemand an und verlangte Einlaß. Meistens handelte es sich um Reporter, aber es kamen auch Freunde, die mehr über den Prozeß herausfinden wollten. Klienten gehörten zur Vergangenheit. Immer wieder klingelte das Telefon. Jake rührte es nie an; Ellen nahm den Hörer ab, wenn sie in der Nähe war.
Er fand sie im Konferenzzimmer, umgeben von Rechtsbüchern. Der M'Naghten-Bericht stellte ein wahres Meisterwerk dar. Jake hatte um nicht mehr als zwanzig Seiten gebeten, aber seine Assistentin stellte ihm fünfundsiebzig zur Verfügung, sauber getippt und klar formuliert. Sie meinte, es sei nicht möglich, die Mississippi-Version der M'Naghten-Regel knapper zu beschreiben. Die Ergebnisse ihrer Nachforschungen erwiesen sich als sehr detailliert. Ellen begann bei dem ursprünglichen M'Naghten-Fall im England des neunzehnten Jahrhunderts und benutzte ihn als Ausgangspunkt, um hundertfünfzig Jahre juristischer Unzurechnungsfähigkeit zu behandeln. Sie hielt sich nicht mit den unbedeutenden und verwirrenden Verfahren auf, sondern erklärte die wichtigen und komplizierten Fälle mit wundervoll einfachen Ausdrücken. Ihrem Bericht fügt sie Hinweise auf die aktuelle Rechtsprechung hinzu und stellte Verbindungen zum Prozeß gegen Carl Lee Hailey her.
Auf vierzehn weiteren Seiten gelangte Ellen zu dem unmißverständlichen Schluß, daß die Staatsanwaltschaft berechtigt war, den Geschworenen die blutigen Bilder von Cobb und Willard zu zeigen. In Mis sissippi waren auch Beweismittel zulässig, die einen starken emotionalen Eindruck hinterließen, und Jakes Assistentin hatte keine Möglichkeit gefunden, Buckley an einer derartigen Show zu hindern.
Darüber hinaus legte Ellen einunddreißig Seiten über die Verteidigung bei zu rechtfertigendem Mord vor – Jake hatte diese Strategie kurz in Erwägung gezogen. Die junge Frau kam dabei zu den gleichen Resultaten wie er selbst: Es klappte nicht. Sie bezog sich unter anderem auf einen alten Mississippi-Fall. Jemand hatte einen bewaffneten geflohenen Häftling gestellt und ihn erschossen; vor Gericht sprach man ihn frei. Doch es gab erhebliche Unterschiede zum Fall Hailey. Jake hatte nicht um einen solchen Bericht gebeten, und es ärgerte ihn, daß soviel Aufmerksamkeit daran verschwendet worden war. Andererseits: Er besaß nun alle notwendigen Informationen.
Die angenehmste Überraschung präsentierte Ellens Arbeit mit Dr. W. T. Bass. Während der vergangenen Woche hatten sie sich zweimal getroffen und über alle Aspekte der M'Naghten-Regel gesprochen. Ellen hatte ein fünfundzwanzig Seiten umfassendes Manuskript vorbereitet, in dem alle von Jake zu stellenden Fragen und Bass' Antworten aufgelistet waren. Der ausgezeichnete Dialog verriet eine Reife, die Jake erstaunte: In ihrem Alter war er ein durchschnittlicher Student gewesen, der sich mehr für Liebesaffären interessierte und juristische Nachforschungen langweilig fand. Seine Assistentin hingegen schrieb im dritten Jahr ihres Studiums Berichte mit der Qualität von professoralen Abhandlungen.
»Wie ist es gelaufen?« fragte Ellen.
»So wie ich es erwartet habe. Noose hat auf stur geschaltet. Der Prozeß beginnt hier am Montag, und an der Geschworenenauswahl ändert sich nichts. Abgesehen davon, daß er die zwanzig mit brennenden Kreuzen eingeschüchterten Geschworenen nach Hause schickt.«
»Er muß übergeschnappt sein.«
»Woran arbeiten Sie jetzt?«
»An einem Bericht, der unseren Standpunkt in Hinsicht auf die Vergewaltigung unterstützt – wir möchten der Jury die Einzelheiten schildern. Bisher sieht's ganz gut aus.«
»Wann sind Sie damit fertig?«
»Ist es eilig?«
»Ich brauche die Unterlagen möglichst bis Sonntag. Anschließend habe ich noch eine andere und etwas schwierigere Aufgabe für Sie.«
Ellen schob ihren Block beiseite und hörte zu.
»Für die Staatsanwaltschaft sagt der Psychiater Dr. Wilbert Rodeheaver aus. Schon seit vielen Jahren leitet er die Nervenklinik von Whitfield, er ist bei Hunderten von Prozessen als Sachverständiger aufgetreten. Stellen Sie Ermittlungen an. Ich möchte wissen, wie oft in schriftlichen Begründungen von Gerichtsurteilen Bezug auf ihn genommen wird.«
»Ich bin des öfteren auf seinen Namen gestoßen.«
»Gut. Nun, wir kennen nur jene vor dem obersten Gericht verhandelten Fälle, bei denen der Angeklagte verurteilt wurde und Berufung einlegte. Über die
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