Die Jury
mir?« fragte Noose, und in seiner Stimme vibrierte ein Hauch von Ärger.
»Verlegen Sie den Verhandlungsort.«
»Wohin?«
»In den südlichen Teil des Staates.«
»Ich verstehe. Vielleicht Carey County. Dort besteht die Bevölkerung zu sechzig Prozent aus Schwarzen. Was eine einstimmige Entscheidung der Jury verhindert, nicht wahr? Oder wie wär's mit Brower County? Dort gibt es noch mehr Schwarze, und wahrscheinlich gelänge es Ihnen, einen Freispruch zu erwirken.«
»Es ist mir völlig gleich, wohin Sie die Verhandlung verlegen. Ich halte es nicht für fair, Carl Lee in Ford County vor Gericht zu stellen. Vor der gestrigen Schlacht war die Situation schlimm genug. Jetzt sind die Weißen in Lynchstimmung, und mein Klient ist ihnen hilflos ausgeliefert. Hinzu kommt der Klan, der überall seine speziellen Weihnachtsbäume aufstellt. Wer weiß, was er sonst noch plant. Es gibt überhaupt keine Möglichkeit, in Ford County eine unvoreingenommene Jury auszuwählen.«
»Meinen Sie damit eine schwarze Jury?«
»Nein, Sir! Ich meine Geschworene, die sich noch keine feste Meinung gebildet haben. Carl Lee Hailey hat ein Recht auf zwölf Personen, die ohne Vorurteile über Schuld oder Unschuld befinden.«
Noose ging zu seinem Stuhl und setzte sich. Er nahm die Brille ab und rieb sich die Spitze der langen Nase.
»Was die zwanzig Männer und Frauen betrifft, in deren Gärten Kreuze brannten...«, überlegte er laut. »Wir könnten sie nach Hause schicken.«
»Das nützt nichts. Die ganze County weiß Bescheid oder wird in den nächsten Stunden davon erfahren. Es dürfte Ihnen klar sein, daß sich so etwas schnell herumspricht. Ich bin sicher, daß alle Vorgeladenen sich bedroht fühlen.«
»Dann stellen wir neue Vorladungen aus.«
»Das hat keinen Sinn«, antwortete Jake scharf. Nooses Sturheit verärgerte ihn. »Alle Geschworenen müssen aus Ford County kommen, und bei uns weiß jeder, was geschehen ist. Außerdem: Wie wollen Sie den Klan daran hindern, die nächste Auswahl einzuschüchtern? Nein, Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als den Verhandlungsort zu verlegen.«
»Glauben Sie etwa, in anderen Teilen des Staates wird der Klan nicht aktiv?« Sarkasmus tropfte aus jedem Wort des Richters.
»Nein, ich glaube, er veranstaltet auch woanders Demonstrationen und Märsche«, gab Jake zu. »Aber wir können nicht sicher sein. Nur eines wissen wir ganz genau: Der Klan ist in Ford County und hat bereits einige zur Auswahl stehende Geschworenen unter Druck gesetzt. An dieser Tatsache kommen wir nicht vorbei. Die Frage lautet: Was wollen Sie unternehmen?«
»Nichts«, sagte Noose schlicht.
»Sir?«
»Nichts. Ich teile den zwanzig heute nacht vom Klan besuchten Vorgeladenen mit, daß wir ihre Dienste nicht benötigen. Und am nächsten Montag, wenn der Prozeß in Clanton beginnt, werde ich die restlichen Geschworenen sorgfältig überprüfen.«
Jake starrte den Richter ungläubig an. Noose traf diese Entscheidung nicht ohne einen triftigen Grund. Er verbarg irgend etwas und schien sich zu fürchten. Lucien hatte recht: Jemand übte Einfluß auf ihn aus.
»Warum?«
»Ich glaube, es spielt überhaupt keine Rolle, wo wir Carl Lee Hailey vor Gericht stellen. Ich glaube, es spielt überhaupt keine Rolle, wen wir auf die Geschworenenbank setzen. Ich glaube, es spielt überhaupt keine Rolle, welche Hautfarbe die Jurymitglieder haben. Sie alle sind voreingenommen – ganz gleich, wie sie heißen und woher sie kommen. Jeder vertritt bereits einen festen Standpunkt. Als Verteidiger müssen Sie jene Männer und Frauen auswählen, die Ihren Klienten für einen Helden halten.«
Das stimmte wahrscheinlich, aber Jake gab es nicht zu. Er blickte durchs Fenster und beobachtete die Bäume. »Warum haben Sie Angst davor, den Verhandlungsort zu verlegen?«
Ichabod kniff die Augen zusammen und starrte den Anwalt an. »Angst? Ich habe keine Angst. Vielleicht im Gegensatz zu Ihnen. Warum lehnen Sie es so hartnäckig ab, den Prozeß in Ford County stattfinden zu lassen?«
»Die Gründe dafür habe ich Ihnen gerade erläutert.«
»Das Verfahren gegen Mr. Hailey beginnt am Montag in Clanton. Uns bleiben noch drei Tage. Ich fürchte mich nicht vor einer Verlegung des Verhandlungsortes, sondern halte so etwas für sinnlos. Ich habe gründlich darüber nachgedacht, Mr. Brigance, und ich sehe keinen Grund, meine Entscheidung zu revidieren. Gibt es sonst noch etwas?«
»Nein, Sir.«
»Gut. Wir sehen uns am Montag.«
Jake betrat seine
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