Die Jury
sich für einen psychiatrischen Experten?« begann Buckley.
»Ja.«
»Haben Sie jemals Psychiatrie gelehrt?«
»Nein.«
»Haben Sie Fachartikel über Psychiatrie geschrieben und publiziert?«
»Nein.«
»Haben Sie Bücher über Psychiatrie geschrieben und publiziert?«
»Nein.«
»Nun, Sie wiesen eben darauf hin, Mitglied der A.M.A, M.M.A. und der American Psychiatric Association zu sein, nicht wahr?«
»Ja«.
»Haben Sie in diesen Organisationen jemals leitende Funktionen ausgeübt?«
»Nein.«
»Haben Sie jemals unter der Schirmherrschaft der Bundesregierung oder staatlicher Behörden gearbeitet?«
»Nein.«
Die Arroganz in Bass' Zügen verflüchtigte sich allmählich, und die Selbstsicherheit verschwand aus seiner Stimme Er sah zu Jake hinüber, der eine Akte durchblätterte.
»Praktizieren Sie noch immer ganztägig, Dr. Bass?« Der Sachverständige zögerte und blickte kurz zu Lucien in der zweiten Reihe.
»Ich empfange regelmäßig Patienten.«
»Wie viele?« hakte Buckley erbarmungslos nach. »Und was meinen Sie mit ›regelmäßig‹?«
»Ich behandle fünf bis zehn Patienten pro Woche.«
»Einen oder zwei am Tag?«
»Ja, ungefähr.«
»Und das bedeutet Ihrer Meinung nach ganztägiges Praktizieren?«
»Ich bin so beschäftigt, wie ich es sein möchte.«
Buckley warf einen Blick auf den Tisch der Anklage und wandte sich an Noose. »Euer Ehren, die Staatsanwaltschaft erhebt Einspruch dagegen, daß dieser Mann als psychiatrischer Experte aussagt. Er ist ganz offensichtlich nicht qualifiziert.« Jake stand auf und öffnete den Mund.
»Abgelehnt, Mr. Buckley. Bitte fahren Sie fort, Mr. Brigance.«
Jake nahm seine Notizen, ging zum Pult und wußte, daß Rufus geschickt einen Schatten des Zweifels auf seinen Zeugen geworfen hatte. Bass zeigte nun wieder den rechten Stiefel. »Haben Sie den Angeklagten Carl Lee Hailey untersucht, Dr. Bass?«
»Ja.«
»Wie oft?«
»Dreimal.«
»Wann fand die erste Untersuchung statt?«
»Am 10. Juni.«
»Und wozu diente sie?«
»Ich wollte einen Eindruck von seinem gegenwärtigen geistigen Zustand gewinnen und herausfinden, in welcher Verfassung er am 20. Mai war, als er angeblich Mr. Cobb und Mr. Willard erschoß.«
»Wo nahmen Sie die erste Untersuchung vor?«
»Im Countygefängnis.«
»Waren Sie dabei mit Mr. Hailey allein?«
»Ja«.
»Wie lange dauerte die Untersuchung?«
»Drei Stunden.«
»Haben Sie dabei auch die Krankengeschichte des Angeklagten berücksichtigt?«
»In gewisser Weise. Wir sprachen ausführlich über seine Vergangenheit.«
»Was brachten Sie dabei in Erfahrung?«
»Nichts Besonderes. Abgesehen von Vietnam.«
»Was hat es mit Vietnam auf sich?«
Bass faltete die Hände auf dem leicht vorgewölbten Bauch, begegnete dem Blick des Verteidigers und runzelte intelligent die Stirn. »Nun, Mr. Brigance, wie die meisten Vietnam-Veteranen, mit denen ich es zu tun bekam, hat Mr. Hailey einige schreckliche Erlebnisse hinter sich.«
Der Krieg ist entsetzlich, dachte Carl Lee und hörte aufmerksam zu. Seine Erinnerungen an Vietnam waren alles andere als angenehm. Er entsann sich an Verwundungen und gefallene Kameraden, an Menschen, die er umgebracht hatte, unter ihnen auch vietnamesische Kinder, mit Pistolen, Gewehren und Handgranaten. Schlimm, wirklich schlimm. Er wünschte sich, jenes Land nie gesehen zu haben. Manchmal träumte er davon, und dann zwang ihn seine Erinnerung, sich noch einmal dem Grauen zu stellen. Aber er fühlte sich deshalb weder geistig angeknackst noch verrückt. Das galt auch für die Ermordung von Cobb und Willard. Ihr Tod erfüllte ihn sogar mit Zufriedenheit. Ähnlich empfand er im Hinblick auf die damaligen vietnamesischen Feinde.
Im Countygefängnis hatte er Bass deutlich darauf hingewiesen, doch der Psychiater wirkte unbeeindruckt. Sie sprachen nur zweimal darüber und jeweils nicht länger als eine Stunde.
Carl Lee beobachtete die Jury und lauschte argwöhnisch dem Sachverständigen, der ausführlich seine gräßlichen Kriegserfahrungen schilderte. Er zog alle Register seines Vokabulars, als er den Laien in komplizierten Begriffen erklärte, welche Folgen die Vietnamerlebnisse für Carl Lee nach sich zogen. Es klang gut. Bass erwähnte die Alpträume, an denen der Angeklagte schon seit Jahren litt, ohne ihnen bisher große Bedeutung beizumessen, aber jetzt schienen sie plötzlich sehr wichtig zu sein.
»Hat Mr. Hailey ganz offen über den Krieg gesprochen?«
»Zunächst nicht«, antwortete Bass
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