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Die Jury

Titel: Die Jury Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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er.
    »Einen Augenblick«, antwortete ihm die Zentrale.
    »Sheriff Walls«, klang es kurze Zeit später aus dem Hörer.
    »Jake Brigance. Wie geht's Ihnen, Ozzie?«
    »Gut. Und Ihnen?«
    »Bestens. Sind Sie noch eine Weile da?«
    »Etwa zwei Stunden. Was ist los?«
    »Nichts weiter. Ich möchte nur mit Ihnen reden. Haben Sie in dreißig Minuten Zeit für mich?«
    »Ja. Ich erwarte Sie hier.«
    Jake und Ozzie Walls mochten und respektierten sich. Bei Kreuzverhören ging der Anwalt manchmal ziemlich grob mit dem Sheriff um, aber das gehörte eben zum Job – Ozzie nahm ihm so etwas nicht übel. Lucien finanzierte Walls' Wahlkampf, und Jake nahm aktiv daran teil; aus diesem Grund hatte Ozzie nichts gegen einige sarkastische Bemerkungen und spöttische Fragen vor Gericht. Es gefiel ihm, Brigance bei einem Prozeß zu beobachten. Und er sprach ihn häufig auf das Spiel an. 1969 hatte der College-Student Jake als Verteidiger in der Football-Mannschaft von Karaway gespielt, und Ozzie war ein mit allen Wassern gewaschener Angreifer des Clanton-Teams gewesen. Die beiden unbesiegten Rivalen traten beim Endspiel in Clanton gegeneinander an; es ging dabei um die Regionalmeisterschaft. Über vier lange Spielviertel hinweg demütigte Ozzie die Karaway-Mannschaft mit schnellen Vorstößen, die niemand aufzuhalten vermochte. Kurz vor dem Ende des letzten Viertels, bei einem Spielstand von 44 zu 0, versuchte Jake, den späteren Sheriff abzublocken. Dabei brach er sich das Bein.
    Jahrelang drohte Ozzie damit, ihm auch noch das andere zu brechen. Häufig behauptete er, daß Jake hinkte. Und er ließ fast keine Gelegenheit ungenutzt, sich nach dem Bein zu erkundigen.
    »Um was geht's?« fragte Walls, als sie in seinem kleinen Büro Platz nahmen.
    »Um Carl Lee. Ich mache mir Sorgen.«
    »Weshalb?«
    »Hören Sie, Ozzie – dieses Gespräch muß unbedingt vertraulich behandelt werden. Niemand darf etwas davon erfahren.«
    »Das klingt sehr ernst.«
    »Ich meine es ernst. Am Mittwoch nach der Voruntersuchung habe ich mich mit Carl Lee unterhalten. Er ist zornig, und das verstehe ich. An seiner Stelle wäre ich ebenfalls verdammt wütend. Er erwähnte seine Absicht, Cobb und Willard umzulegen. Es hörte sich nicht nach einem Scherz an. Ich dachte mir, Sie sollten Bescheid wissen.«
    »Die beiden Kerle sind in Sicherheit, Jake. Carl Lee könnte gar nicht zu ihnen, selbst wenn er es wollte. Nun, wir haben einige anonyme Anrufe mit Drohungen verschiedener Art bekommen. Die Vergewaltigung geht den Schwarzen in der County ganz entschieden gegen den Strich. Aber den Angeklagten droht keine Gefahr. Sie sitzen allein in einer Zelle, und wir geben gut auf sie acht.«
    »Freut mich. Carl Lee ist nicht mein Klient, aber ich habe praktisch alle Haileys vertreten, und wahrscheinlich glaubt er deshalb, ich sei sein Anwalt. Ich hielt es für meine Pflicht, Sie zu informieren.«
    »Ich bin unbesorgt, Jake.«
    »Gut. Ich möchte Sie etwas fragen. Ich habe eine Tochter, und Sie ebenfa lls, nicht wahr?«
    »Sogar zwei.«
    »Was denkt Carl Lee? Als schwarzer Vater, meine ich.«
    »Das gleiche, was Sie denken würden.«
    »Und was sind das für Gedanken?«
    Ozzie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Nach einigen Sekunden sagte er: »Er denkt, ob Tonya okay ist, in physischer Hinsicht. Überlebt sie? Und wenn ja: Bleiben irgendwelche Schäden zurück? Kann sie jemals Kinder bekommen? Er überlegt auch, ob sich seine Tochter geistig und emotional erholen wird, welche Wirkung das Trauma auf den Rest ihres Lebens hat. Drittens: Er möchte die Mistkerle umbringen.«
    »Würden Sie einen solchen Wunsch teilen?«
    »Schwer zu sagen. Ich weiß nicht, wie ich mich in einer derartigen Situation verhalten würde. Ich glaube, meine Kinder brauchen mich zu Hause mehr als in Parchman. Was meinen Sie, Jake?«
    »Ich bin der gleichen Ansicht. Ich meine, ich habe keine Ahnung, wie ich reagieren würde. Vielleicht verlöre ich den Verstand.« Brigance zögerte und starrte auf den Schreibtisch. »Möglicherweise wäre ich tatsächlich fähig, einen Mord zu planen. Es fiele mir sicher nicht leicht, des Nachts ruhig zu schlafen, solange der Schuldige lebt.«
    »Wie sähe eine Jury den Fall?«
    »Kommt darauf an, wer zur Jury gehört. Wenn die Verteidigung alle Geschworenen auswählen könnte, käme man frei. Wenn der Bezirksstaatsanwalt die richtigen Leute auf die Geschworenenbank setzt, endet man in der Gaskammer. Es hängt ganz von den jeweiligen Personen ab. Eines

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