Die Jury
außergerichtliche Vereinbarung vorgesehen, Euer Ehren«, sagte D. R. Musgrove.
»Gut. Der Staat Mississippi gegen Roger Hornton. Schwerer Diebstahl. Zwei Anklagepunkte. Der Prozeß beginnt morgen.« Noose fuhr fort, und bei jedem neuen Fall bekam er die entsprechenden Antworten. Buckley stand auf und meinte, die Staatsanwaltschaft sei bereit – oder Musgrove erwähnte eine außergerichtliche Vereinbarung. Die jeweiligen Verteidiger erhoben sich ebenfalls und gaben ihre Zustimmung. In dieser Verhandlungsperiode hatte Jake keine Fälle. Zwar bemühte er sich sehr, gelangweilt zu wirken, aber er freute sich über die Verlesung der Prozeßliste: dadurch erfuhr er, womit sich seine Konkurrenten befaßten. Darüber hinaus bekam er Gelegenheit, vor den Zuschauern einen guten Eindruck zu machen. Mehrere Juristen der Sullivan-Kanzlei waren zugegen, saßen in der vorderen Reihe der Geschworenenbank und wirkten ebenfalls gelangweilt. Die älteren Partner lehnten es ab, unter diesen Umständen vor Gericht zu erscheinen: Sie logen und ließen Noose mitteilen, sie müßten Klienten vor dem Bundesgericht in Oxford oder dem obersten Gericht in Jackson vertreten.
Prestigedenken hinderte sie daran, bei den gewöhnlichen Mitgliedern der Advokatur zu sitzen, deshalb schickte man die jüngeren, unwichtigeren Anwälte, um Noose zufriedenzustellen und dafür zu sorgen, daß die Verhandlung anhängiger Fälle verschoben und vertagt wurde. Der Zweck dieser ständigen Verzögerungstaktik bestand darin, noch mehr Geld zu verdienen, noch mehr Stunden in Rechnung zu stellen. Die Klienten der Sullivan-Kanzlei waren oft große Versicherungsgesellschaften, die Gerichtsverfahren vermeiden wollten und viel Geld dafür bezahlten, um die Fälle von den Geschworenen fernzuhalten. Es wäre billiger und auch fairer gewesen, eine vernünftige Einigung mit dem Kläger zu erzielen, und dadurch sowohl einen Prozeß als auch die Honorarforderungen von Parasiten wie Sullivan & O'Hare zu vermeiden. Aber den Versicherungsgesellschaften und ihren Sachverständigen unterlief immer wieder der gleiche dumme Fehler. Deshalb verdienten Straßenanwälte wie Jake Brigance ihren Lebensunterhalt, indem sie die Gesellschaften verklagten und zwangen, mehr zu bezahlen als bei einer normalen Regelung des Versicherungsfalls. Jake verachtete insbesondere die jüngeren Anwälte der Sullivan-Kanzlei: Sie hätten nicht gezögert, ihm, ihren Partnern oder sonst jemandem die Kehle durchzuschneiden, um zweihunderttausend Dollar im Jahr zu verdienen und darauf verzichten zu können, bei der Eröffnung einer neuen Verhandlungsperiode im Gericht zugegen zu sein. Jake haßte Lotterhouse – L. Winston Lotterhouse, wie es im Briefkopf hieß – noch mehr als alle anderen: ein kleiner, hinterlistiger Mistkerl, der seinen Doktortitel in Harvard erworben hatte und an einem akuten Überheblichkeitssyndrom litt. Er hoffte, bald zum Kanzleipartner aufzusteigen, und deshalb war er im vergangenen Jahr im Hinblick auf das Durchschneiden metaphorischer Kehlen besonders fleißig gewesen. Selbstgefällig saß er neben zwei anderen Sullivan-Mitarbeitern und hielt sieben Akten in der Hand – sieben Fälle, die jeweils hundert Dollar pro Stunde einbrachten, während der Richter die Prozeßliste vorlas.
Noose wandte sich nun den zivilrechtlichen Verfahren zu.
»Collins gegen die Versicherungsgesellschaft Royal Consolidated General.«
Lotterhouse erhob sich wie in Zeitlupe. Sekunden reihten sich zu Minuten aneinander. Aus Minuten wurden Stunden. Stunden bedeuteten Honorar, Vorschuß, Prämien und Partnerschaft. »Euer Ehren, dieser Fall soll am Mittwoch der nächsten Woche verhandelt werden.«
»Ich weiß«, erwiderte Noose.
»Ja, Sir. Nun, Sir, ich fürchte, ich muß um einen Aufschub bitten. Mein Terminkalender läßt mir keine andere Wahl. An jenem Mittwoch ist meine Präsenz vor dem Bundesgericht in Memphis erforderlich, bei einem Verfahren, das der dafür zuständige Richter leider nicht vertagt hat. Ich bedauere es sehr. Heute morgen habe ich den Aufschub formell beantragt.« Gardner, der Anwalt des Klägers, sprang zornig auf. »Euer Ehren, dieser Fall sollte schon mehrmals verhandelt werden. Im Februar hatte Mr. Lotterhouse einen Todesfall in der Familie seiner Frau. Im November davor starb ein Onkel. Im vergangenen August fand eine andere Beerdigung statt. Ich schätze, wir können dankbar sein, daß diesmal niemand ums Leben kam.«
Einige Zuschauer lachten, und Lotterhouse errötete.
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