Die Jury
schwieg, und die Stille dauerte an. Großartig, dachte er. Ein zartbesaitetes großes Geschworenengericht. – Schüchterne Typen, die sich fürchten, das Wort zu ergreifen. Liberale. Warum bekomme ich keine blutgierige Jury, die bereit ist, in jedem Fall Anklage zu erheben?
»Mrs. Gossett, vielleicht sind Sie als Vorsitzende zu dem Antrag bereit.«
»Ich stelle ihn hiermit«, sagte die Schwarze.
»Danke«, sagte Buckley. »Jetzt zur Abstimmung. Wer dafür ist, Fedison Bulow wegen Einbruchs in ein Geschäftsgebäude und wegen schweren Diebstahls anzuklagen, den bitte ich um das Handzeichen.«
Achtzehn Hände zeigten nach oben, und Buckley seufzte erleichtert.
Der Polizeichef von Karaway präsentierte vier weitere Fälle, bei denen es um Personen ging, die ebenso schuldig waren wie Bulow. Immer traf das Geschworenengericht eine einstimmige Entscheidung und erhob Anklage. Buckley brachte der Jury langsam bei, worauf es ankam. Er sorgte dafür, daß sich die Männer und Frauen wichtig und mächtig fühlten, daß sie die schwere Verantwortungsbürde der Gerechtigkeit spürten.
Allmählich streiften sie die Unsicherheit ab und wurden neugieriger:
»Ist er vorbestraft?«
»Wie viele Jahre muß er dafür im Gefängnis verbringen?«
»Wann wird er aus der Haft entlassen?«
»Wie viele Anklagepunkte können wir beschließen?«
»Wann findet der Prozeß statt?«
»Ist er jetzt gegen Kaution frei?«
Fünf problemlose Anklagen, ohne daß jemand Einspruch erhob. Hinzu kam der Umstand, daß die Geschworenen den Eindruck erweckten, allmählich Gefallen an der Sache zu finden. Buckley hielt den richtigen Zeitpunkt für gekommen. Er öffnete die Tür und winkte Ozzie zu, der im Flur stand, leise mit einem Deputy sprach und die Reporter beobachtete.
»Zuerst der Fall Hailey«, flüsterte der Staatsanwalt, als sich die beiden Männer an der Tür gegenüberstanden.
»Meine Damen und Herren – das ist Sheriff Walls. Die meisten von Ihnen kennen ihn sicher. Er möchte uns mehrere Fälle vortragen. Welcher ist der erste, Sheriff?«
Ozzie kramte in seinen Unterlagen, gab die Suche schließlich auf und sagte: »Carl Lee Hailey.«
Plötzlich herrschte wieder Stille. Buckley beobachtete die Geschworenen und versuchte, ihre Reaktionen einzuschätzen.
Die meisten starrten auf den Tisch. Niemand sprach ein Wort, als Ozzie blätterte und sich dann mit dem Hinweis entschuldigte, er müsse einen anderen Aktenkoffer holen. Er hatte nicht geplant, Hailey als ersten Fall zu präsentieren. Buckley rühmte sich, vom Mienenspiel der Jurymitglieder auf ihre geheimsten Gedanken schließen zu können. Während eines Verfahrens behielt er die Geschworenen stets aufmerksam im Auge und stellte sich vor, was sie dachten. Er wandte den Blick selbst dann nicht von der Jury ab, wenn er einen Zeugen ins Kreuzverhör nahm. Manchmal befragte er Zeugen, ohne sie anzusehen, musterte dabei die Geschworenen und analysierte ihre Reaktionen auf die Antworten. Nach Hunderten von Verfahren hatte er in dieser Hinsicht viel Erfahrung, und daher wußte er sofort, daß ihn jetzt Probleme erwarteten. Die fünf Schwarzen versteiften sich, und ihre Körpersprache deutete so etwas wie Arroganz an: Sie schienen sich auf eine Auseinandersetzung vorzubereiten. Die Vorsitzende Mrs. Gossett wirkte betroffen, als Ozzie murmelte und einmal mehr blätterte. Die meisten Weißen blieben zurückhaltend, aber Mack Lloyd Crowell, ein Mann in mittleren Jahren, erweckte den gleichen kampfbereiten Eindruck wie die Schwarzen. Er schob seinen Stuhl zurück, ging zum Fenster und sah über den nördlichen Teil des Platzes. Buckley wußte nicht genau, was Crowell empfand, doch er fürchtete, daß sich Schwierigkeiten anbahnten.
»Wie viele Zeugen haben Sie für den Fall Hailey, Sheriff?« fragte der Staatsanwalt ein wenig nervös.
Ozzie hob den Kopf. »Nun, äh, nur einen – mich selbst. Aber wir können auch andere Personen aussagen lassen, falls das notwendig werden sollte.«
»Schon gut«, erwiderte Buckley. »Schildern Sie uns den Fall.«
Ozzie lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander.
»Ich bitte Sie, Rufus. Alle wissen bestens Bescheid. Das Fernsehen berichtet seit einer Woche darüber.«
»Nennen Sie uns die Beweise.«
»Die Beweise. Na schön. Vor einer Woche hat Carl Lee Hailey, ein Schwarzer im Alter von siebenunddreißig Jahren, Billy Ray Cobb und Pete Willard erschossen. Dabei wurde auch der Polizist DeWayne Looney verletzt – man hat ihm das eine
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