Die Jury
»Genug ist genug, Euer Ehren«, fuhr Gardner fort. »Mr. Lotterhouse möchte den Prozeß am liebsten bis zum Jüngsten Tag verschieben, aber mein Klient hat ein Recht darauf, daß er endlich stattfindet. Wir sprechen uns energisch gegen einen neuerlichen Aufschub aus.«
Lotterhouse sah den Richter an, lächelte und nahm die Brille ab. »Wenn ich darauf antworten darf, Euer Ehren...«
»Nein, Sie dürfen nicht, Mr. Lotterhouse«, unterbrach ihn Noose. »Ich lehne Ihren Antrag hiermit ab. Der Fall wird am nächsten Mittwoch verhandelt.«
Halleluja, dachte Jake. Normalerweise war Noose recht großzügig, wenn es um die Sullivan-Kanzlei ging. Brigance blickte zu Lotterhouse und schmunzelte.
Zwei von Jakes zivilrechtlichen Fällen wurden bis August verschoben. Als Noose diesen Teil der Prozeßliste verlesen hatte, schickte er die Anwälte fort und richtete seine Aufmerksamkeit auf die angehenden Geschworenen. Er erklärte Aufgaben und Verantwortung der großen Jury und betonte, sie habe andere Pflichten wahrzunehmen als die Jurys bei Prozessen – die seien ebenso wichtig, aber nicht so zeitraubend. Noose stellte Dutzende von Fragen, die das Gesetz von ihm verlangten.
Viele betrafen die Fähigkeit, als Geschworener tätig zu sein: physische und moralische Eignung, Freistellung, Alter und so weiter. Einige der Fragen waren absurd, gehörten aber noch immer zu dem Ritual. »Befinden sich Personen unter Ihnen, die dem Glücksspiel oder dem Alkohol verfallen sind?«
Mehrere Männer und Frauen lachten, aber niemand hob die Hand. Wer über fünfundsechzig war, brauchte sich nicht zum Geschworenen ernennen zu lassen. Noose ließ die üblichen Freistellungen aufgrund von Krankheit, Notfällen und besonderen Belastungen zu, doch er lehnte fast immer ab, wenn man ökonomische Gründe anführte. Manche Kandidaten behaupteten, wenige Tage als Jurymitglied würden der Farm, dem Laden oder dem Papierholzschneiden irreparablen Schaden zufügen. Der Richter blieb hart und nahm die fadenscheinigen Entschuldigungen zum Anlaß, Vorträge über staatsbürgerliche Pflichten zu halten.
Achtzehn der insgesamt neunzig Geladenen bildeten später das große Geschworenengericht, und der Rest mußte sich bereit halten, um für die Jurys bei den einzelnen Prozessen ausgewählt zu werden. Als Noose alle Fragen gestellt hatte, zog der Protokollführer achtzehn Zettel aus einem Kasten und legte sie vor den Richter, der die darauf notierten Namen vorlas.
Nacheinander standen die neuen Geschworenen auf, gingen durch die Pforte im Geländer zum vorderen Teil des Saals und nahmen in den weichen Sesseln der Geschworenenbank Platz.
Davon gab es insgesamt vierzehn: zwölf für die Mitglieder der Jury und zwei für Stellvertreter. Nach den ersten vierzehn Namen nannte Noose vier weitere, und die entsprechenden Personen begnügten sich mit Holzstühlen vor ihren Kollegen. »Bitte erheben Sie sich, um den Eid abzulegen«, sagte Noose.
Die Gerichtsdienerin trat vor die Geschworenen und las aus einem kleinen Buch vor, das alle Eide enthielt. »Heben Sie die rechte Hand. Schwören Sie, daß Sie Ihre Pflichten als Geschworene gewissenhaft erfüllen und gerecht über alle Ihnen vorgetragenen Fälle entscheiden werden, so wahr Ihnen Gott helfe?«
Ein vielstimmiges »Ich schwöre« folgte, und anschließend setzten sich die Vereidigten wieder. Zwei der fünf Schwarzen und acht der dreizehn Weißen waren Frauen. Die meisten kamen vom Land. Jake kannte insgesamt sieben der Geschworenen. »Meine Damen und Herren«, begann Noose, »Sie sind als Jurymitglieder des großen Geschworenengerichts der Ford County ausgewählt und vereidigt worden. Sie nehmen Ihre Aufgabe solange wahr, bis im August ein neues großes Geschworenengericht zusammengestellt wird. In dieser Woche versammeln Sie sich jeden Tag; später dauern Ihre Beratungen nur einige Stunden im Monat, bis September. Sie werden strafrechtliche Fälle prüfen und dabei feststellen, ob genug Gründe für die Annahme existieren, daß ein Verbrechen verübt wurde. Wenn Sie zu einem solchen Schluß gelangen, erheben Sie Anklage gegen den Beschuldigten. Wenn mindestens zwölf von Ihnen glauben, daß jemand gegen das Gesetz verstoßen hat, so erfolgt die offizielle Anklageerhebung. Sie haben beträchtliche Macht: Sie können in Hinsicht auf jedes Verbrechen Ermittlungen anstellen, jeden Verdächtigen verhören, jeden Beamten – in diesem Zusammenhang gibt es keine Beschränkungen für Sie. Sie können sich
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