Die Jury
erwiderte Jake skeptisch. »Ich glaube, Hanna möchte noch mehr Orangensaft.«
»Ich glaube, du möchtest das Thema wechseln.«
»Das Thema ist mir völlig gleich. Ich will den Fall zurück, und nur Lester kann mir dabei helfen.«
Carla kniff die Augen zusammen, und Jake fühlte ihren Blick auf sich ruhen. Er beobachtete ein kleines Segelboot: Es steckte im Schlamm vor dem gegenüberliegenden Ufer fest.
»Das widerspricht deinem Berufsethos.« Carla sprach ruhig und gleichzeitig fest. Ihre Worte klangen vorwurfsvoll.
»Nein. Du weißt, daß ich ein sehr ethischer Anwalt bin.«
»Du betonst immer wieder, wie wichtig die Ethik dir sei. Aber derzeit planst du, einen anderen Anwalt auszumanö vrieren. Das ist falsch, Jake.«
»Ich will niemanden ausmanövrieren, nur den Fall zurück.«
»Gibt es da einen Unterschied?«
»Die Abwerbung eines Klienten verstößt gegen das Berufsethos. Aber es ist nicht verboten, ihn zurückzugewinnen.«
»Es ist falsch, Jake«, wiederholte Carla. »Carl Lee läßt sich jetzt von einem anderen Anwalt vertreten, und damit solltest du dich abfinden.«
»Glaubst du vielleicht, daß sich Marscharfski mit irgendwelchen ethischen Erwägungen aufhält? Wie hat er den Auftrag bekommen, Carl Lee zu verteidigen? Er vertritt jemanden, der nie etwas von ihm gehört hat. Er ist dem Fall nachgejagt.«
»Und deshalb ist es recht und billig, wenn du die gleichen Methoden benutzt?«
»Ich jage dem Fall nicht nach. Ich versuche nur, ihn zurückzubekommen.«
Hanna verlangte Kekse, und Carla kramte im Picknickkorb. Jake stützte sich auf die Ellenbogen und ignorierte Mutter und Tochter. Er dachte an Lucien. Was unternähme er?
Wilbanks hätte das nächste Flugzeug nach Chicago genommen und Lester Geld zugesteckt, damit er Carl Lee umstimmte. Jake stellte sich vor, wie Lucien Lester mitteilen würde, daß Marscharfski gar nicht in Mississippi praktizieren könnte, daß er ein Fremder wäre, dem die Rednecks in der Jury mit Mißtrauen begegnen würden. Er stellte sich vor, wie Lucien seinen Rivalen anrief, ihm vorwarf, Fällen nachzujagen, ihm mit einer ethischen Klage vor dem Untersuchungsausschuß der Advokatur drohte, wenn er sich nach Mississippi wagte. Und dann...
Dutzende von Schwarzen, die Gwen und Ozzie anriefen, sie darauf hinwiesen, einzig und allein Lucien Wilbanks hätte eine Chance, den Prozeß zu gewinnen. Vor seinem inneren Auge sah Jake einen Carl Lee, der dem wachsenden Druck schließlich nicht mehr standhalten konnte und um ein Gespräch mit seinem früheren Anwalt bat.
Ja, Lucien würde jedes Mittel nutzen. Von wegen Ethik!
»Warum lächelst du?« fragte Carla.
»Ich habe gerade daran gedacht, wie schön es ist, hier mit dir und Hanna zusammen zu sein. Wir sollten öfter zum Picknick rausfahren.«
»Du bist enttäuscht, nicht wahr?«
»Natürlich. Einen solchen Fall bekomme ich nie wieder. Wenn ich ihn gewonnen hätte, wäre ich der bekannteste und berühmteste Anwalt in diesem Teil des Landes gewesen. Nie wieder Geldsorgen.«
»Und nach einer Niederlage beim Prozeß?«
»Selbst dann hätten sich Vorteile für meine Praxis ergeben. Aber solche Überlegungen sind jetzt nur noch akademischer Natur.«
»Bist du beschämt?«
»Ein wenig. Alle Anwälte in der County lachen über mich, vielleicht mit Ausnahme von Harry Rex. Das ist nicht gerade angenehm. Aber ich komme darüber hinweg.«
»Was soll ich mit dem Sammelalbum anfangen?«
»Bewahr es auf. Vielleicht erhältst du doch noch Gelegenheit, es zu füllen.«
Das Kreuz war klein, nur drei Meter lang und anderthalb breit es paßte genau auf die Ladefläche eines Pickup. Bei den Ritualen verwendete man weitaus größere Kreuze, doch diese kleinen eigneten sich gut für nächtliche Aktionen in Wohngebieten. Nach Ansicht ihrer Hersteller wurden sie viel zu selten benutzt. In Ford County war das letzte Kreuz dieser Art vor vielen Jahren aufgestellt worden, im Garten eines Niggers, dem man die Vergewaltigung einer Weißen zur Last legte.
Am Montagmorgen, einige Stunden vor dem Sonnenaufgang, wurde das Kreuz vom Wagen gehoben und in ein frisch gegrabenes Loch gesteckt, im Vorgarten eines malerischen viktorianischen Hauses an der Adams Street. Jemand warf eine Fackel, und Flammen leckten über das Holz. Der Pickup fuhr los und hielt einige Minuten später an einer Telefonzelle. Ein Mann stieg aus, nahm den Hörer ab und rief die Polizei an.
Kurz darauf steuerte Deputy Marshall Prather einen Streifenwagen zur Adams Street
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