Die Juweleninsel
Entscheidung, und was dieser schreibt, das gilt und wird nicht mehr kontrolirt. Da kann es vorkommen, daß er viel mehr schreibt, als er eigentlich sollte, oder sogar daß er einem etwas notirt, der um gar nichts gebeten hat. Bekommst Du also einmal etwas, so sage nur zum Aufseher, Du hättest den Arzt darum gebeten!«
»Werde es merken! Welche Arbeit werde ich bekommen?«
»Das weiß ich noch nicht, denn das bestimmt im Laufe des Tages der Arbeitsinspektor.«
Unterdessen war das Bad beendet, und das Einkleiden begann. Der Badewärter war ihm dabei behilflich und legte ihm auch das Halstuch um.
»Du hast doch den Brief vergessen!« flüsterte Hartig.
»Sorge Dich nicht! Er ist an seiner Stelle; aber ich wäre sehr ungeschickt, wenn Du es bemerkt hättest, denn dann hätte es der Aufseher draußen auch gesehen.«
»Er belauscht uns also wirklich?«
»Ja. Du wirst sehen, daß er hereinkommt, sobald wir fertig sind. Diese Leute halten sich allein für sehr klug und weise und sind noch dreimal dummer als dumm.«
Wirklich hatte Hartig kaum die Arme in die Aermel seiner Jacke gesteckt, so trat der Aufseher herein.
»Fertig?«
»Gleich, Herr Aufseher!«
»Wieder einmal fleißig geschwatzt?«
»Kein Wort! Oder glauben Sie, daß Unsereiner das Bedürfniß hat, sich solchen Leuten mitzutheilen?«
»Hoffe es auch nicht. Also vorwärts wieder!«
Hartig wurde in ein anderes Gebäude geführt, wo ihn der Aufseher in ein Zimmer schob, in welchem ein Herr in Civil an einem Schreibtische saß. An der andern Seite saß ein dicker Mann in der Sträflingskleidung und schrieb, ohne von dem Papiere aufzublicken. Dieser erstere war der Anstaltsoberarzt. Er fixirte den Angekommenen einen Augenblick; dann frug er in dem kurzen Ton dieser Beamten: »Wer bist Du?«
»Schiffer.«
»Wie alt?«
»Fünfzig.«
»Einmal krank gewesen?«
»Nein.«
»Fehlt Dir jetzt etwas?«
»Nein, aber Hunger habe ich immer.«
»Ach so!« lachte der Arzt. »Die Herren Gefangenen haben während der Untersuchungshaft auf schmaler Kost gesessen und wollen sich nun hier herausfüttern lassen. Bleibt draußen, und macht keine Dummheiten, wenn Ihr nicht leiden wollt! Ziehe Dich aus!«
Er bog sich auf seine Schreiberei zurück. Hartig fuhr langsam aus der Jacke und nieste; dann wischte er sich die Augen in der angegebenen Weise. Sofort erhob sich der dicke Schreiber und trat zu ihm.
»Na, das hat ja noch gar keine Spur von Geschicke! Wie lange soll da der Herr Oberarzt warten, he? Herunter damit!«
Er band ihm das Halstuch ab und warf es zur Erde, half ihm auch beim Ablegen der übrigen Kleidungsstücke. Als dies geschehen war, erhob sich der Arzt und untersuchte Hartig sehr genau. Er hatte heute Zeit dazu, denn es war kein zweiter Gefangener eingeliefert worden. Während dieser Prozedur bemerkte Hartig, daß der Schreiber hinter dem Tische einen kleinen Zettel las und schnell einen zweiten schrieb. Als die ärztliche Untersuchung beendet war, trat er wieder zu Hartig heran und half ihm beim Anlegen der Kleider. Dabei steckte er ihm den zweiten Zettel abermals, aber jetzt hinten und von oben unter das Halstuch und flüsterte: »Beim Arbeitsinspektor wieder niesen!«
Die Prozedur war beendet, und Hartig wurde entlassen. Draußen vor der Thür empfing ihn der Aufseher wieder, welcher ihn in seine Zelle zurückbrachte und dann verließ. Während dieser Pause wagte der Gefangene es, den Zettel herauszunehmen und zu öffnen, obgleich es möglich war, daß man ihn beobachtete. Er war in einer fremden Sprache geschrieben. Sein Verfasser und derjenige, an den er gerichtet war, konnten keine ganz gewöhnlichen Leute sein.
Jetzt dauerte es einige Stunden, ehe die Riegel wieder zurückgezogen wurden und der Aufseher wieder öffnete. Er brachte Wasser und Brod.
»Hast Du beim Arzte um doppelte Ration Brod gebeten?«
»Ja.«
»Bist Du denn ein so starker Esser?«
»Ein Seemann hat stets Hunger.«
»Hier aber hört die See auf. Ein Zugänger erhält gewöhnlich täglich ein halbes Pfund Brod und erst später, wenn er wiederholt darum bittet, ein ganzes und auch anderthalb Pfund. Dir aber sind gleich zwei Pfund zugeschrieben worden. Da heißt es nun auch fleißig sein, damit Du diese Vergünstigung nicht etwa wieder verlierst. Der Herr Oberarzt muß heut bei sehr guter Laune gewesen sein. Jetzt komm!«
Das Versprechen des Badewärters war also doch bereits in Erfüllung gegangen. Der dicke Krankenschreiber hatte aus eigener Machtvollkommenheit zwei Pfund
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