Die Juweleninsel
zweiter Pfad auf den ersten mündete und dieser nun eine beinahe doppelte Breite gewann. Eben als sie diese Stelle erreichten, traten wohl an die zwanzig wild aussehende Männer aus dem Dickicht hervor. Rabbadah stieß einen Ruf des Schreckes aus.
»Phansegars!« brüllte entsetzt der ihr folgende Reiter.
Er glitt sofort vom Pferde und verschwand in dem wuchernden Gewirre der Schlingpflanzen; die andern Vier folgten schleunigst seinem Beispiele und ließen die Pferde im Stich, um sich nur verbergen zu können. Sie konnten wegen der engen Passage ihre Pferde nicht umwenden, sonst wären sie sicher, anstatt zu laufen, davongeritten.
»Halt!« rief der Vorderste der Männer. »Wer seid Ihr?«
»Freunde,« antwortete Maletti ruhig.
»Beweise es!«
»Hier!«
Er zog den Zahn hervor und zeigte denselben hin.
»Du bist ein Freund. Wer ist dieses Weib?«
»Das kann ich nur Dem sagen, welcher mir dieses Zeichen gab, und zu dem ich jetzt will.«
»Wie heißt er?«
»Er hat mir seinen Namen nicht genannt.«
»Das macht Dich verdächtig. Steigt ab und folgt uns! Ah, zwei Leichen! Was sollen die Kadaver hier?«
»Wir wollen sie hier begraben.«
»Es gibt dazu andere Orte. Uebrigens bist Du ein Ingli oder ein Frankhi, denn bei uns werden die Leichen nicht begraben, sondern verbrannt. Du wirst mir immer verdächtiger. Vorwärts mit Euch!«
Sie wurden von den Phansegars in die Mitte genommen und verfolgten nun den Weg zu Fuße weiter, bis sie an einen von hohem Baumwuchse freien Platz kamen, auf welchem die selbst in ihren Trümmern noch gigantischen Steinkolosse des einstigen Tempels zu erblicken waren.
Man hatte ihnen die Pferde nachgebracht; sie wurden angebunden.
»Kommt weiter!« befahl der Führer.
Er führte sie zwischen riesigen Felsenstücken und Mauerüberresten hindurch nach einem engen Gange, welcher sich unter der Erde fortsetzte. Sie mußten im Dunkeln tappen, bis er halten blieb.
»Wartet hier! Ich weiß nicht ob ich schnell wiederkommen kann!«
Höchstens drei seiner Schritte waren zu hören, dann blieb es still.
»Wenn er uns hier verlassen hat, um nie zurückzukehren!« flüsterte Rabbadah.
»Sorge Dich nicht! Wir sind in guten Händen.«
»Weißt Du dies gewiß?«
»So gewiß, als ich mein Leben tausendmal hergeben würde, ehe ich Dir ein Haar nur krümmen ließe.«
»Aber es sind Phansegars!«
»Ich weiß es.«
»Woher bekamst Du ihr Zeichen?«
»Das darf ich Dir nicht sagen, weil ich geschworen habe zu schweigen. Horch!«
Die Mauer, an welcher sie lehnten, konnte nicht sehr stark sein, denn man vernahm jetzt die Schritte vieler Personen und das Summen ihrer unterdrückten Stimmen. Zugleich ward ein Geruch bemerkbar, welcher demjenigen des Harzes oder des Peches glich. Da erhob sich plötzlich eine laute deutliche Stimme:
»Steig nieder, von den heil’gen Höhen,
Wo in Verborgenheit Du thronst;
Laß uns, o Siwa, laß uns sehen,
Daß Du noch immer bei uns wohnst!
Soll Deines Lichtes Sonne weichen,
Jetzt von Tscholamandelas 13 Höhn, In Dschahlawan, 14 Dein Stern erbleichen Und im Verschwinden untergehn?«
Maletti erkannte sofort diese Stimme; es war diejenige des Phansegars, welcher ihm das Zeichen gegeben hatte.
»Das ist der Freund, der Dich und mich beschützen wird,« tröstete er Rabbadah.
Die Stimme fuhr unterdessen fort:
»Spreng Deines Grabes Felsenhülle,
O Kalldah, steig aus der Gruft
Und komm in alter Macht und Fülle
Zum Thuda, der Dich sehnend ruft!
Soll der Brahmane schlafen gehen,
Die Sakundala in der Hand,
Soll er den Zauber nicht verstehen,
Der ihn an Deine Schöpfung band?
Des Himalaya mächt’ger Rücken
Steigt aus dem Wolkenkreis hervor,
Und der Giganten Häupter blicken
Zum Ew’gen demuthsvoll empor.
Ihn preist des Meers gewaltge Woge,
Die an Kuratschis Strand sich bricht,
Und in des Kieles lautem Soge 15
Von ihm erzählt beim Sternenlicht.
Ihn preiset des Suacrong 16 Stimme, Die donnernd aus der Dschungel schallt,
Wenn er im wilden Siegesgrimme
Die Pranken um die Beute krallt.
Ihn preist des Feuerberges Tosen,
Das jedes Herz mit Graun erfüllt,
Wenn aus dem Schlund, dem bodenlosen,
Das Flammenmeer der Tiefe quillt!«
»Ist dies auch ein Phansegar, ein Mörder?« frug die Begum. »Er spricht wie ein Dichter.«
»Es ist ein Phansegar; er kann wohl weder lesen noch schreiben, und dennoch könnte ein Dichter des Morgen-oder Abendlandes ihn wohl in Beziehung auf die Sprache kaum übertreffen. Horch!«
Es klang
Weitere Kostenlose Bücher