Die Juweleninsel
weiter:
»Und Herr ist er, vom Eiseslande,
Wo träg zum Meer die Lena zieht,
Bis weithin, wo am Felsenstrande
Der Wilde dem Yahu 17 entflieht.
Und Herr bleibt er. Im Sternenheere
Erblickst Du seiner Größe Spur;
Sein Fuß ruht in dem Weltenmeere,
Und sein Gesetz ist die Natur.
Naht auch mit unhellvollen Stürmen
Vom Westen her die Wettersnacht,
Mag immer sich die Wolke thürmen.
Der Hindukoh bricht ihre Macht:
Die matt geword’nen Stürme kräuseln
Mit kühlem Hauch als Abendwind
Des Persermeeres Fluth und säuseln
Durch Pendschabs Fluren sanft und lind.
Wo die Almeah 18 kaum die Lieder Der nächtlichen Bhowannie sang,
Tönt in die stillen Ghauts 19 herniederDer Kriegstrompete heller Klang.
Die duftenden Thanakafelder
Zerstampft der Rosse Eisenhuf;
Der Phansegar flieht in die Wälder
Vor seiner Feinde Siegesruf.
Des Ganges Welle muß sie tragen
Bis hin zu Siwas heil’gem Ort, 20
Und ihre Feuerboote jagen
Die Gott geweihten Thiere fort.
Dann wird mit festlichem Gepränge
Von einem andern Gott gelehrt,
Und von der leicht bethörten Menge
Der Mann aus Falesthin 21 verehrt.«
Sie konnten nicht weiter hören, denn der Phansegar, welcher sie hier gelassen hatte, kehrte zurück, jedoch aus einer anderen Richtung, als er vorhin eingeschlagen hatte.
»Folgt mir weiter!«
Sie schritten langsam hinter ihm her, bis sie zu einer steinernen Treppe kamen, welche zu einem ähnlichen Gange emporführte. Dieser nahm einen krummen Verlauf und war an seiner Mündung von Rauch erfüllt. Sie traten jetzt in eine bogenartige Erweiterung, von welcher aus, als sich erst das Auge an den Rauch gewöhnt hatte, sie über eine steinerne Brüstung hinweg in eine sehr bedeutende Tiefe zu blicken vermochten.
»Setzt Euch hier. Und wenn Ihr bei dem was Ihr seht einen Laut ausstoßt, so werdet Ihr hinabgestürzt!« drohte der Führer.
An der Rückwand der Loge zog sich eine lange Steinbank hin, auf welcher etwa zwölf bis fünfzehn Thugs Platz genommen hatten, die jedenfalls sehr bereit waren, dieser Drohung augenblicklich Folge zu leisten.
»Dürfen wir leise mit einander sprechen?«
»Ja.«
»Dürfen wir auch an die Brüstung treten, um zu sehen, was da unten vorgenommen wird?«
»Das sollt Ihr sogar, damit Ihr erkennt, wie es Euch geht, wenn Ihr nicht unsere Freunde seid, sondern zu den Inglis gehört!«
Maletti trat vor und die Begum folgte seinem Beispiele.
Beide erblickten vor sich einen hohen, weiten, von riesenhaften Steinmauern begrenzten domartigen Raum, an dessen hinterer Decke sich ihr gegenwärtiger Aufenthaltsort befand. Unten im Schiffe dieses kirchenähnlichen Raumes knieten vor einem steinernen Altare wohl an die zweihundert Männer, von denen jeder eine Fackel trug. Daher der Harzgeruch und Rauch. Diese Männer waren an ihren Waffen sehr leicht als Thugs und meist als Phansegars zu erkennen, denn in ihrer Armirung herrschte das krumme fürchterliche Messer vor.
Zwischen ihnen und dem Altare kauerten vielleicht zwanzig gefesselte Personen, welche alle die englische Uniform trugen. Maletti blickte genauer hin und hätte beinahe vor Ueberraschung den so streng verbotenen Schrei ausgestoßen.
»Siehst Du die Gefangenen?« frug er leise die Begum.
»Ja. Es sind Inglis.«
»Kennst Du sie?«
»Nein.«
»Blicke die Beiden rechts in der vorderen Reihe an, aber sei vorsichtig und bleibe still!«
Sie machte die Geberde des Erkennens.
»Lord Haftley!«
»Und Rittmeister Mericourt!«
Da trat der Phansegar herbei, welcher sie geführt hatte.
»Ich sehe es Euch an, Ihr habt Gefangene erkannt!«
»Ja.«
»So seid Ihr verloren, denn Ihr gehört zu ihnen.«
»Es sind unsere Feinde!«
»Wohl Euch, wenn es so ist!«
»Wie könnte ich als Euer Feind zu Eurem Zeichen kommen?«
»Du könntest es gestohlen oder geraubt haben.«
»Wäre ich dann zu Euch gekommen?«
Der Mann nickte.
»Aber warum flohen Deine Begleiter, als sie uns erblickten?«
»Sie wußten nicht, was ich hier wollte. Oder willst Du, daß ich Euer Geheimniß einem jeden mittheile?«
»Du hast Recht.«
Er zog sich sichtlich zufriedengestellt wieder zurück.
Drunten auf dem Altare stand der Phansegar, von welchem Maletti das Zeichen erhalten hatte. Seine Rede war nun beendet. Die Beiden hatten sie jedenfalls deshalb so genau vernommen, weil sie gerade jenseits der hinter ihm gelegenen Wand gesessen hatten.
Er gab ein Zeichen mit der Hand, und alle Thugs erhoben sich.
»Die Lehrlinge vor!« gebot er.
Drei Männer
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