Die Kälte Des Feuers
erste gemeinsame Nacht eine weitaus größere Rolle als für einen Mann: Die sexuelle Hingabe gehörte zu den Augenblicken größter Verwundbarkeit in einer Beziehung. Vorausgesetzt natürlich, die Hingabe diente nicht nur zur Befriedigung eines körperlichen Bedürfnisses, sondern basierte auch auf Liebe. Ja, dachte Holly, ich liebe ihn.
»Ich liebe ihn«, sagte sie laut und überrascht, weil sie sich davon überzeugt hatte, daß Jims Anziehungskraft in erster Linie auf außergewöhnlichen männlichen Charme, animalischen Magnetismus und etwas Geheimnisvolles zurückging.
Der Angestellte war zehn Jahre jünger als Holly und neigte daher zu der Annahme, daß es sich bei der Liebe um eine allgegenwärtige Präsenz handelte. Er sah auf und lächelte. »Großartig, nicht wahr?«
Holly unterschrieb das Formular. »Glauben Sie an Liebe auf den ersten Blick?«
»Warum nicht?«
»Nun, vom ersten Blick kann kaum die Rede sein. Ich kenne ihn schon seit dem zwölften August, seit… sechzehn Tagen.«
»Und Sie sind noch nicht verheiratet?« scherzte der junge Mann.
Holly verabschiedete sich, ging zum Ford und setzte sich neben Jim. »Wenn wir unser Ziel erreichen … Du hast doch nicht vor, mich mit einer Kettensäge zu zerschneiden und unter der Windmühle zu begraben, oder?«
Allem Anschein nach verstand er ihre Unsicherheit und nahm keinen Anstoß daran. »O nein«, antwortete er mit gespieltem Ernst. »Unter der Mühle ist bereits alles voll. Ich muß die Einzelteile deiner Leiche an verschiedenen Stellen auf der Farm verbuddeln.«
Holly lachte. Wie dumm von mir, ihn zu fürchten.
Jim beugte sich zur Seite und küßte sie. Es war ein langer, liebevoller Kuß.
Als sie wieder voneinander zurückwichen, sagte er: »Ich gehe ein ebenso großes Risiko ein wie du.«
»Ich schwöre hoch und heilig, daß ich noch nie jemanden mit einer Axt in Stücke geschlagen habe.«
»Im Ernst - in der Liebe hatte ich bisher kein Glück.«
»Ich auch nicht.«
»Diesmal ist es für uns beide anders.«
Er küßte sie erneut, nicht ganz so lange, dafür aber noch zärtlicher, startete dann den Motor und setzte aus der Parklücke zurück.
Er hat nicht gesagt, daß er mich liebt, dachte Holly in einem entschlossenen Versuch, die sterbende Zynikerin in ihr am Leben zu erhalten. Jim drückte sich vorsichtig aus, beschrieb seine Gefühle mit vagen Formulierungen. Vielleicht war er nicht zuverlässiger als die anderen Männer, denen Holly vertraut hatte?
Aber auch ich habe ihm gegenüber nicht direkt von Liebe gesprochen, ermahnte sie sich. Sie war keine größeren Verpflichtungen eingegangen als er. Nach wie vor hielt sie es für erforderlich, sich zu schützen; vielleicht zog sie es aus diesem Grund vor, dem Hotelangestellten ihr Herz auszuschütten und Jim gegenüber auf entsprechende Bemerkungen zu verzichten.
Unterwegs hielten sie an einem Lebensmittelladen, spülten Blaubeertörtchen mit schwarzem Kaffee hinunter und setzten die Fahrt über den San Diego Freeway nach Norden fort. Die Rushhour an diesem Dienstagmorgen war vorbei, aber trotzdem kam es manchmal zu Verkehrsstauungen, und dann krochen die Autos wie Schlangen, die man zu einem GourmetRestaurant trieb.
Holly lehnte sich auf dem Beifahrersitz zurück und erzählte Jim wie versprochen von ihren vier Alpträumen. Sie begann mit der seltsamen Blindheit, die sie während des Traums in der Freitagnacht erlebt hatte, und beendete ihren Bericht mit den besonders schrecklichen Visionen in der vergangenen Nacht.
Es faszinierte Jim ganz offensichtlich, daß sie von der Windmühle geträumt hatte, ohne zu wissen, daß sie wirklich existierte. Und damit noch nicht genug - Sonntagnacht, nach dem Flugzeugunglück, sah sie ihn als zehnjährigen Jungen in der Mühle, obwohl sie zu jenem Zeitpunkt unmöglich wissen konnte, daß jenes Gebäude in seiner Kindheit eine große Rolle gespielt hatte.
Doch seine meisten Fragen galten dem jüngsten Alptraum. »Wer war die Frau, in deren Körper du dich befunden hast?« erkundigte er sich und blickte weiterhin auf die Straße.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Holly und verspeiste das letzte Törtchen. »Ihre Identität blieb mir verborgen.«
»Kannst du sie beschreiben?«
»Ich habe nur ihr Spiegelbild im Fenster gesehen, mehr nicht.« Holly trank einen Schluck Kaffee aus dem großen Becher und dachte nach. Es fiel ihr wesentlich leichter, sich an die einzelnen Szenen zu erinnern, als es eigentlich der Fall sein sollte; normalerweise
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