Die Kälte Des Feuers
verflüchtigten sich Traumbilder schon nach kurzer Zeit. Doch in diesem Fall entsann sie sich so deutlich an die Details, als sei es ein echtes, reales Erlebnis gewesen. »Sie hatte ein breites, offenes Gesicht, nach weiblichen Maßstäben nicht schön, eher apart. Weite Augen, ein voller Mund. Ein Schönheitsfleck hoch auf der rechten Wange. Ja, ein runder Fleck - ich glaube nicht, daß es eine schmutzige Stelle auf der Fensterscheibe war. Lockiges Haar. Kennst du sie?«
»Nein«, erwiderte Jim. »Ich glaube nicht. Sag mir, was du am Grund des Teichs gesehen hast, als das Licht pulsierte.«
»Ich bin nicht sicher, was es gewesen sein könnte.«
»Beschreib es so gut wie möglich.«
Holly überlegte erneut, schüttelte dann aber den Kopf. »Nein. An das Gesicht der Frau erinnere ich mich gut, denn als ich es im Traum sah, erkannte ich es sofort als menschliches Gesicht. Aber das Objekt am Grund des Teichs … Es war so seltsam, daß mir keine passenden Vergleiche einfallen. Ich wußte nicht, um was es sich handelte, und ich konnte nur einen kurzen Blick darauf werfen … Jetzt entsinne ich mich nicht mehr an Einzelheiten. Hat es mit dem Teich irgend etwas Besonderes auf sich?«
»Nicht daß ich wüßte«, sagte Jim. »Vielleicht hast du ein versunkenes Ruderboot oder etwas in der Art gesehen.«
»Nein«, widersprach Holly. »Ich glaube kaum. Das Objekt war wesentlich größer. Ist jemals ein Boot im Teich versunken?«
»Keine Ahnung. Ich habe nie entsprechende Geschichten gehört. Allerdings täuscht der Anblick des Wassers. Normale Mühlteiche sind seicht, aber dieser ist tief, fast fünfzehn Meter in der Mitte. Er trocknet nie aus, schrumpft auch nicht während trockener Jahre. Der Grund: Er verdankt seine Existenz keinem einfachen Grundwasservorkommen, sondern einem artesischen Brunnen.«
»Wo liegt der Unterschied?«
»Gewöhnliches Grundwasser muß man hochpumpen, doch bei einem artesischen Brunnen steht das Wasser unter solchem Druck, daß es von ganz allein nach oben kommt. Man braucht also keine Pumpe, sondern ein Ventil, das es daran hindert, ständig emporzuspritzen.«
Der Verkehr war jetzt nicht mehr so dicht, aber Jim nutzte nur wenig Möglichkeiten, die Fahrbahn zu wechseln und zu überholen. Holly Antworten interessierten ihn mehr als eine höhere Geschwindigkeit.
»Als du - beziehungsweise die Frau - im Traum das Ende der Treppe erreichtest, als dein Blick auf den zehnjährigen Jungen fiel… Du wußtest sofort, daß ich es war?«
»Ja.«
»Wie hast du mich erkannt? Ich meine, ich sehe heute nicht mehr wie der zehn Jahre alte Jim Ironheart aus, oder?«
»Es lag größtenteils an deinen Augen«, erwiderte Holly. »sie haben sich kaum verändert und sind unverkennbar.«
»Ich bin nicht der einzige Mensch mit blauen Augen.«
»Soll das ein Witz sein? Zwischen deinen blauen Augen und denen anderer Personen gibt es ebenso große Unterschiede wie zwischen Sinatras Stimme und der Donald Ducks, Schatz.«
»Du bist voreingenommen. Nun, was hast du in der Wand gesehen?«
Holly beschrieb es erneut.
»Etwas Lebendiges in den Steinen? Meine Güte, diese Sache wird immer seltsamer.«
»Ich habe mich seit Tagen nicht mehr gelangweilt«, bestätigte Holly.
Nach dem Anschluß an die Interstate 10 nahm der Verkehr auf dem San Diego Freeway noch weiter ab, und daraufhin zeigte Jim, wie gut er fahren konnte. Er ging so mit dem Wagen um wie ein erstklassiger Jockey mit einem Vollblutpferd und entlockte ihm jenes Quentchen an zusätzlicher Leistung, das über ein Rennen entscheidet. Der Ford war nur ein Standardmodell ohne irgendwelche Veränderungen, aber er reagierte wie ein Porsche auf Jim.
Nach einer Weile begann Holly damit, eigene Fragen zu stellen. »Wie kommt es, daß ein Millionär wie du so relativ bescheiden lebt?«
»Ich habe meinen Job aufgegeben, die alte Wohnung verlassen und mir ein Haus gekauft.«
»Ja. Aber ein einfaches Haus. Und deine Möbel geben nicht viel her.«
»Ich brauchte die Ruhe und Zurückgezogenheit eines eigenen Heims, um nachzudenken und mich zwischen meinen … Missionen entspannen zu können. Mit einer ebenso ausgefallenen wie teuren Einrichtung kann ich nichts anfangen.«
Einige Minuten lang schwiegen sie, und schließlich fragte Holly: »Bin ich dir in Portland ebenso aufgefallen wie du mir? Auf den ersten Blick, meine ich?«
Jim lächelte, ohne den Blick von der Straße abzuwenden. »Das gilt auch für Sie, Miß Thorne.«
»Du gibst es also zu«, sagte Holly
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