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Die Kälte Des Feuers

Die Kälte Des Feuers

Titel: Die Kälte Des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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gar Verzweiflung verwandeln mochte. Aber er konnte sie betrachten, normal atmen und schließlich den Blick davon abwenden, ohne den Zwang zu verspüren, noch einmal hinzusehen.
    Vom Schuppen ging überhaupt keine emotionale Anziehungskraft aus, ganz im Gegensatz zur Windmühle. Als er seine Aufmerksamkeit auf den Kegel aus Kalkstein hinter dem großen Teich richtete, entstand das Gefühl in ihm, sich selbst in Stein zu verwandeln, wie die hilflosen Opfer der mythologischen Medusa, die in ihr von Schlangen gesäumtes Gesicht starrten.
    Er hatte vor vielen Jahren von der Medusa gelesen, in einem von Mrs. Glynns Büchern. Damals hatte er sich von ganzem Herzen gewünscht, ebenfalls die schlangenhaarige Frau zu sehen und zu empfindungslosem Stein zu werden …
    »Jim?« Hollys Stimme erklang auf der anderen Seite des Wagens. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
    In der Mühle gab es besonders hohe Räume der höchste befand sich im Erdgeschoß -, und dadurch war das Gebäude nicht zwei, sondern eigentlich vier Stockwerke hoch. Aber für Jim wirkte es mindestens so beeindruckend wie ein zwanzigstöckiger Turm. Hundertjähriger Schmutz hatte den einst blassen Steinen eine dunklere Tönung gegeben. Efeu kroch über die Mauern, wuchs aus dem Ufer des Teichs neben der Mühle, fand Halt in den tiefen Ritzen zwischen einzelnen Steinblöcken. Da sich niemand um die Pflege des Gebäudes kümmerte, bedeckten die Blätter einen großen Teil der Außenwand und bildeten grüne Gardinen vor einem schmalen Fenster im Erdgeschoß. Die hölzernen Windmühlenflügel wirkten halb vermodert. Sie waren neun Meter lang, woraus sich eine Spannweite von insgesamt achtzehn Metern ergab; jeder bestand aus drei Streben und maß in der Breite etwa einen Meter. Seit Jims letztem Besuch auf der Farm hatten sich weitere Bespannungsfetzen gelöst. Die in der Zeit eingefrorenen Flügel bildeten kein Kreuz mehr, sondern ein X: zwei zeigten zum Teich, die beiden anderen nach oben. Selbst im hellen Tageslicht empfand Jim den Anblick der Mühle als bedrohlich; sie erschien ihm wie eine Vogelscheuche, die mit Knochenhänden nach dem Himmel tastete.
    »Jim?« fragte Holly und berührte ihn am Arm. Er zuckte so heftig zusammen, als sei sie eine Fremde für ihn. Einige Sekunden lang blickte er auf sie herab und sah dabei nicht Holly, sondern ein längst totes Gesicht, das jemand anderem gehörte …
    Die kurze Phase der Verwirrung fand ein rasches Ende, und aus der Frau wurde wieder Holly. Ihre Identität war nicht mehr mit der jener anderen Frau verbunden, so wie Hollys Traum während der vergangenen Nacht.
    »Stimmt was nicht?« erkundigte sie sich. Er schüttelte den Kopf. »Es sind nur … Erinnerungen.«
    Jim seufzte lautlos und dankbar, als Holly das Farmhaus in den Fokus seiner Aufmerksamkeit rückte, indem sie fragte: »Warst du glücklich bei deinen Großeltern?«
    »Lena und Henry Ironheart … Prächtige Menschen. Sie nahmen mich auf. Und sie litten sehr für mich.«
    »Litten?« wiederholte Holly.
    Jim begriff, daß er einen zu starken Ausdruck gewählt hatte. »Ich meine, sie brachten große Opfer. Meistens kleine Dinge - aber ihre Summe schuf eine schwere Bürde.«
    »Es ist alles andere als leicht, die Verantwortung für einen zehnjährigen Jungen zu übernehmen«, sagte Holly. »Aber wenn du nicht gerade Kaviar und Champagner verlangt hast, sollte es für deine Großeltern nicht allzu schwer gewesen sein.«
    »Nach dem Tod meiner Eltern war ich … in mich zurückgezogen, verschlossen und wortkarg. Oma und Opa gaben sich große Mühe, schenkten mir viel Liebe und versuchten, mich vom … Kummer zu befreien.«
    »Wer wohnt hier heute?«
    »Niemand.«
    »Du hast doch gesagt, daß Deine Großeltern vor fünf Jahren starben.«
    »Die Farm wurde nicht verkauft. Es fanden sich keine Interessenten.«
    »Wem gehört sie jetzt?«
    »Mir. Ich habe sie geerbt.«
    Holly ließ einen verwunderten Blick über das Anwesen schweifen. »Es ist schön hier. Wenn man den Rasen bewässert und dafür sorgt, daß er grün bleibt, wenn man das Unkraut jätet … Dann wäre dieser Ort wirklich wunderbar. Warum sollte die Farm so schwer zu verkaufen sein?«
    »Nun, zunächst einmal - das Leben hier draußen ist verdammt ruhig. Selbst viele der Zurück-zur-Natur-Typen, die davon träumen, auf dem Land zu leben, meinen damit eine Farm, die sich in der Nähe von Kinos, Büchereien, guten Restaurants und Reparaturwerkstätten für europäische Wagen befindet.«
    Holly lachte.

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