Die Kälte Des Feuers
umspielte seine Lippen, als hinge er nun angenehmen Erinnerungen nach.
Jims wechselnde Launen verwirrten Holly, und sie versuchte sich vorzustellen, wie die Mühle gleichzeitig Freude und Angst in ihm wecken konnte. Widerstrebend folgte sie ihm in einen Raum, den er >hohe Kammer< nannte. Holly selbst verband keine guten Reminiszenzen mit der Mühle, sie entsann sich viel zu deutlich an die entsetzlichen Alptraumbilder, die nun zurückkehrten. Die Wendeltreppe erschien ihr seltsam vertraut, obwohl sie die Stufen jetzt zum erstenmal hinter sich brachte. Es war ein unheimliches Gefühl, weitaus gespenstischer als ein normales Deja-vu-Erlebnis.
Auf halbem Wege nach oben blieb sie an dem Fenster stehen, durch das man den Teich sehen konnte. Staub bildete eine dicke Schicht auf dem Glas. Sie wischte einen Teil davon fort und beobachtete das Wasser weiter unten. Für einen Sekundenbruchteil glaubte sie, etwas Sonderbares unter der unbewegten Oberfläche zu erkennen - dann begriff sie, daß sie nur das Spiegelbild einer Wolke sah.
»Was ist los?« fragte Jim mit jungenhaftem Eifer. Er wartete einige Stufen über ihr.
»Nichts. Nur ein Schatten.«
Sie setzten den Weg fort und erreichten kurze Zeit später die obere Kammer, die sich als schlichter, knapp fünf Meter durchmessender Raum erwies. An der höchsten Stelle trennten vier Meter die Decke vom Boden. Die gewölbten Wände bestanden ebenfalls aus Kalkstein und neigten sich in einem sanften Winkel nach oben die Form des Zimmers entsprach der einer Raketenkapsel. Der Stein war nicht halb durchsichtig wie in Hollys Traum - es ging auch kein bernsteinfarbenes Glühen davon aus. Ein merkwürdiges Etwas zeigte sich an der Decke, ein Mechanismus, der die Drehungen der Windmühlenflügel in horizontal wirkende Kraft umsetzte, die schließlich eine vertikale Antriebswelle bewegte. Sie verschwand durch ein Loch in der Mitte des Bodens.
Holly erinnerte sich daran, wie sie unten gestanden und durch die teilweise eingestürzten Decken in verschiedene Ebenen der komplizierten Vorrichtung geblickt hatten. Vorsichtig belastete sie den hölzernen Boden mit ihrem Gewicht. Die Dielen schienen nicht vermodert zu sein, sie wirkten fest und stabil.
»Viel Staub«, sagte Jim. Mit jedem Schritt wirbelte er kleine Wolken auf.
»Und Spinnen«, fügte Holly hinzu.
Sie rümpfte voller Ekel die Nase und beobachtete die Reste ausgesaugter Insekten, die oben in breiten Netzen hingen. Sie hatte keine Angst vor Spinnen, aber sie mochte sie auch nicht besonders.
»Ich schlage vor, wir machen hier sauber, bevor wir unser Nachtlager aufschlagen«, meinte Jim.
»Wir hätten in Svenborg einen Besen und andere Dinge kaufen sollen.«
»Im Haus gibt es genug Reinigungsutensilien. Ich kümmere mich darum, während du die Sachen aus dem Wagen holst.«
»Das Haus!« Holly strahlte plötzlich übers ganze Gesicht. »Als wir hierher fuhren, hatte ich keine Ahnung, daß die Farm dir gehört, daß hier niemand wohnt. Wir bringen die Schlafsäcke einfach ins Haus, übernachten dort und kommen so oft hierher, wie wir wollen.«
»Eine gute Idee«, erwiderte Jim. »Aber so einfach ist das nicht. Irgend etwas wird hier geschehen, Holly, etwas, das uns Antworten gibt - oder eine Möglichkeit, sie zu finden. Ich fühle es. Ich bin ganz sicher. Warum? Es ist so wie mit… den Rettungsmissionen. Ich weiß es einfach. Aber wir haben nicht die Möglichkeit, den Zeitpunkt der Offenbarung selbst zu bestimmen. Wir müssen geduldig sein - und ständig bereit. Wir können Gott - beziehungsweise die höhere Macht - nicht darum bitten, unsere Fragen nur während der normalen Geschäftszeit zu beantworten. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als hierzubleiben und zu warten.«
Holly seufzte. »Na schön. Wenn du …«
Glocken unterbrachen sie.
Es war kein lautes Getöse, sondern ein sanftes, melodisches Klirren, das nur zwei oder drei Sekunden lang dauerte. Es hörte sich so verspielt an, daß es überhaupt nicht zu dem düsteren Steingebäude zu passen schien. Trotzdem bildete es keinen disharmonischen Kontrast dazu und weckte überaus ernste Assoziationen in Holly; sie dachte an Sünde, Reue und Erlösung.
Das Klimpern verklang, als Holly festzustellen versuchte, wo es seinen Ursprung hatte. Bevor sie Jim danach fragen konnte, ertönte es erneut.
Diesmal verstand Holly, warum sie dieses Geräusch mit etwas Religiösem verband. Es hörte sich ganz nach den Glocken an, die ein Ministrant während der Messe läutete.
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